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„Das ist ziemlich gewagt.“

Toilettenbürsten, Handtuchhalter, Universalhaken – Wenko-Geschäftsführer Niklas Köllner entdeckt auf dem Online-Marktplatz Temu immer wieder Artikel, die den Produkten aus seinem eigenen Sortiment täuschend ähnlich sind. Gegen Produktpiraten kann er kaum wirksam vorgehen. Wie Köllner beklagen auch andere Unternehmer, dass auf der chinesischen Plattform Fälschungen ihrer Markenprodukte ohne Folgen angeboten werden.

Eineinhalb Jahre nach dem Start von Temu in Deutschland wird der Online-Marktplatz für hiesige Unternehmen zum Problem. „Plattformen wie Temu bieten Produkte an, die oft zu schön scheinen, um wahr zu sein“, sagt der Geschäftsführer des Markenverbundes, Patrick Kammerer. „Diese Plattformen sind auch ein Einfallstor für Produktfälschungen, die immensen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Das hören wir immer wieder von unseren Mitgliedern.“ Gerade für mittelständische Unternehmen stellen die Aktivitäten solcher Plattformen eine große Herausforderung dar.

92 Millionen Nutzer

Die EU-Kommission verdächtigt Temu, nicht nach europäischen Regeln zu spielen. Ende Oktober leiteten die Brüsseler Behörden ein Verfahren gegen die Chinesen ein, unter anderem weil sie vermuteten, dass der Marktplatz nicht ausreichend gegen illegale Plagiate vorgeht. Nach Angaben der EU-Kommission meldete Temu im September 92 Millionen monatliche Nutzer in der EU.

Zu den betroffenen Mittelständlern gehört auch Wenko. Alle eingetragenen geistigen Eigentumsrechte im Bereich Produktdesign schützen den Haushaltswarenhersteller aus Hilden auf Temu kaum. Wenko-Chef Köllner sagt, sein Unternehmen habe bisher rund 400 Fälle gemeldet – allein ein universeller Heizkörperhaken mehr als 100 Mal.

Auch der Zangenhersteller Knipex meldet massive Probleme. Seit Juli 2023 hat das Wuppertaler Unternehmen auf Temu mehr als 220 Rechtsverstöße für sechs Produkte wie Rohrschneider und Greifer entdeckt. „Temu verletzt ständig Eigentumsrechte. Das ist ziemlich gewagt“, sagt Geschäftsführer Ralf Putsch. Ihm zufolge wurden oft Werbebilder von Knipex verwendet, nur ohne das Firmenlogo.

„Rechtsdurchsetzung ist eigentlich unmöglich“

Kammerer vom Markenverband erläutert die Rechtslage: „Entdeckt ein Markeninhaber bei einem Online-Händler ein gefälschtes Produkt seiner eigenen Marke, kann er dies dem Plattformbetreiber melden.“ Temu und andere sind dann gemäß dem EU Digital Services Act (DSA) verpflichtet, das Produkt von der Website zu entfernen.

Aus Kammerers Sicht besteht das Problem jedoch darin, dass Inhalte, von denen bereits bekannt ist, dass sie illegal sind, erneut hochgeladen werden können. „Die DSA hat dies noch nicht genehmigt. Ein Fehler.“ So landeten immer wieder gefälschte Produkte auf Temu. Eine Marktplatzhaftung besteht grundsätzlich nicht. „Verbraucher werden getäuscht, Markeninhaber betrogen“, sagt Kammerer.

Wenko, Knipex und viele andere können ein Lied davon singen. Knipex forderte Temu wiederholt auf, die Artikel von seinem Marktplatz zu entfernen. Das Portal kam dieser Aufforderung nach, die Artikel waren jedoch kurz darauf wieder auffindbar. Entweder beim selben Händler oder bei einem anderen Händler. Putsch meint, dass jeder haftbar gemacht werden muss, der etwas betreibt, das ständig gegen das Gesetz verstößt. Knipex hatte vor Jahren ähnliche Probleme mit Amazon, aber es ist besser geworden.

Und die Fake-Händler? Da wird es noch komplizierter. Grundsätzlich könnten Markeninhaber eingreifen, wenn Anbieter gefälschte Produkte anbieten, sagt Kammerer vom Markenverband. „Für ausländische Anbieter ist internationaler Rechtsbeistand notwendig. Dies ist insbesondere in Asien sehr komplex und langwierig. Eine Durchsetzung des Gesetzes ist daher faktisch unmöglich.“

Temu sieht sich selbst zu Unrecht kritisiert

Temu bestreitet die Vorwürfe. „Wir gehen Hinweisen auf mögliche Verstöße umgehend nach und ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, beispielsweise durch die Löschung von Angeboten und Bildern“, sagt ein Unternehmenssprecher. Rechteinhaber können ihre Beschwerden über ein Portal einreichen; 99 Prozent der Anträge werden schnell gelöst. Verkäufer, die wiederholt oder schwerwiegend gegen diese Regeln verstoßen, würden dauerhaft von der Plattform ausgeschlossen.

Temu sagt, es habe seine Bemühungen zum Schutz des geistigen Eigentums kontinuierlich verbessert. Dies diene auch „dem langfristigen Erfolg und Wachstum unserer Plattform“.

E-Commerce-Experte Alexander Graf beurteilt die Lage anders. Ihm zufolge haben die Betreiber von Online-Marktplätzen kein echtes Interesse daran, etwas zu ändern. „Man verdient Geld mit dem Verkauf der Produkte. Wenn sie ein Produkt von der Plattform nehmen, kaufen die Leute es woanders.“ Graf befürchtet negative Folgen für die europäische Fertigungsindustrie, wenn Unternehmen und Kunden rechtlich nicht besser geschützt werden. Dann wird der Rückgang weitergehen.

Der Zoll ist mit der Warenflut aus China überfordert

Was also tun gegen die Fälschungen? Der Handelsverband Deutschland beklagt, dass Händler, die Plagiate anbieten, für die Behörden vor Ort oft nicht erreichbar sind. Daher muss ein verantwortlicher Wirtschaftsakteur mit Sitz in der EU benannt werden, der für Fehlverhalten von Unternehmen außerhalb der EU haftet.

Der Markenverband fordert zudem ein politisches Engagement zum Schutz des geistigen Eigentums. „Wer diese Schutzrechte verletzt, muss entsprechend bestraft werden. Andere Länder wie China nutzen solche Rechte gezielt als Instrument zur Förderung ihrer eigenen Unternehmen und Produkte“, sagt Kammerer. Und er weist auf ein weiteres Problem hin: „Die Flut an Kleinsendungen überfordert den Zoll.“ Lediglich rund 0,01 Prozent der Sendungen werden kontrolliert. „Es gibt fast keine Kontrolle. Das bedeutet: Wir müssen das Zollpersonal stärken und mit einer besseren technischen Ausstattung ausstatten.“

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