💡 Peter Jungblut beobachtet für BR24 Kultur die Debatten hinter den Berichten rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er verfolgt russische Medien, Telegram-Kanäle und soziale Medien und wertet die dortigen Einschätzungen/Stimmen journalistisch aus und ordnet sie ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen im russischsprachigen Raum über die Ereignisse diskutieren.
„Darwin ist ein Idiot. Der Mensch ist kein Tier. Aber er kann versuchen, eines zu werden. Wenn er sich dem Liberalismus verschreibt“, sagt der rechtsextreme russische „Philosoph“ und intellektuelle Querulant Alexander Dugin. Er glaubt auch genau zu wissen, wohin die Evolutionstheorie führt: zu „Quadrobics“, so heißt ein neuer Spieltrend, bei dem die Bewegungen von Tieren nachgeahmt werden, meist auf allen Vieren. Dugin, und er ist nicht der Einzige, hält das offenbar für einen Zivilisationsbruch.
Auslöser der russischen Debatte um Charles Darwin (1809-1882) war der russische Regierungsberater Muslim Kutschijew. Der aus Tschetschenien stammende Politiker islamischen Glaubens hatte Bildungsminister Sergej Krawzow aufgefordert, die Evolutionstheorie aus Schulen und Universitäten zu verbannen. Folglich müsste auch das Moskauer Darwin-Museum, das 1995 neue, prestigeträchtige Räumlichkeiten bezogen hatte, schließen. Der nun aufgeflammte Streit erinnert an die ideologische Auseinandersetzung in den Südstaaten Amerikas, wo bibelgläubige Eltern Schulbibliotheken „aufräumen“ wollen.
„Fünftklässler als Ebenbild Gottes“
„Jeder weiß, dass das eine falsche Theorie ist, sie widerspricht der Religion“, sagte Kutschijew bei einer Sitzung des Allrussischen Elternkomitees. „Ich glaube, dass sie der erste Schritt zum geistigen Verfall der Kinder ist. Wir können sie einfach beseitigen. Sie ist nicht wahr, sie widerspricht der religiösen Erziehung, das haben alle Religionen erkannt.“ Russische Ultrapatrioten eilten Kutschijew sofort zu Hilfe, darunter der milliardenschwere Medienunternehmer Konstantin Malofejew. Er sprach von einer „gottlosen Sekte“, räumte aber ein, dass Darwin selbst kein Atheist gewesen sei: „Im Wesentlichen steht unser Bildungssystem vor der Wahl, ob wir unseren Fünftklässlern beibringen, zu glauben, dass sie nach dem Bild Gottes geschaffen sind, oder aufrechte Primaten zu sein.“
Charles Darwin war für die Entdeckung von Mutation und Selektion und damit für die umfassende Theorie der Artenvielfalt verantwortlich. Oligarch Malofejew empfiehlt stattdessen die Werke seines fundamentalistischen Mitstreiters Sergej Wertjanow, der die Bibel wörtlich nimmt und deshalb glaubt, das Universum sei in sechs Tagen erschaffen worden: „Biologieunterricht auf orthodoxer Grundlage“ heißt das entsprechende „Standardwerk“ für die 10. und 11. Klasse, das 2005 erschien.
Kreml-Propagandist Sergej Markow warnte in diesem Zusammenhang vor einer Verleumdung der orthodoxen Kirche, zumal diese „schrecklichen Verfolgungen“ durch Muslime ausgesetzt sei. Die kirchentreuen Fundamentalisten wollten den Schülern lediglich „alternative“ Theorien nahebringen, darunter den auf der Bibel basierenden „Kreationismus“.
„Figuren, die den Studiokäfig erschüttern“
Russische Politologen und Polit-Blogger reagierten mit ironischen und unterhaltsamen Kommentaren, die den Kreml scharf kritisierten. Andrej Nikulin schrieb: „Der beste Beweis dafür, dass der Mensch vom Affen und nicht von himmlischen Engeln abstammt, ist, den Fernseher einzuschalten. Auf dem Bildschirm sieht man Gestalten, die schreien, den Käfig des Studios schütteln und sich gegenseitig mit ihrem eigenen Dreck bewerfen.“ Nikulin fragte spöttisch, ob die religiösen Eiferer sich lieber von einem Arzt mit konventioneller medizinischer Ausbildung oder einem bibelkundigen Wunderheiler behandeln lassen wollten.
Der Politologe Anatoli Nesmijan (115.000 Fans) zog eine direkte Parallele zur rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus: „Die aktuellen Vorschläge (der Putin-Fans) unterscheiden sich immer weniger von denen des berüchtigten deutschen Ostplans (während des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion) im Hinblick auf die Bewohner der besetzten Gebiete: Kinder sollten über Schulkenntnisse verfügen, die gerade ausreichten, um die Befehle des Bürgermeisters und des Kommandanten lesen zu können. Jede darüber hinausgehende Bildung galt als schädlich und unnötig.“
„Supercomputer oder Spirituosenladen“
Andere Beobachter erwarten, dass als nächstes die Urknalltheorie über die Entstehung des Universums bekämpft wird, und fürchten um die russische Verfassung, die sowohl die Religionsfreiheit als auch einen säkularen, allen Glaubensrichtungen gegenüber neutralen Staat garantiert.
Kolumnist Dmitri Drise von der Wirtschaftszeitung Kommersant erinnerte sich an seine sowjetische Erziehung, wonach die Arbeit den Menschen erschaffe, ein berühmtes Zitat von Friedrich Engels, und scherzte: „Es gibt Arten, die, wie wir wissen, keiner Entwicklung unterliegen: Sie befinden sich auf der untersten Stufe der Evolution und verbleiben dort. Dasselbe gilt für manche Menschen: Einer erfindet einen Supercomputer, während ein anderer das meiste, was er in seinem Leben gelernt hat, auf dem Weg zum Spirituosenladen lernt.“ Selbst für „hochrangige Regierungsbeamte“ bleiben einige der Geheimnisse des Lebens offenbar ein Rätsel.