
Hat Caren Miosga etwas gelernt? Nachdem sie im Dialog mit Sahra Wagenknecht vergangene Woche deutlich den Kürzeren zog, lud sie diesmal einen Gast in ihre Sendung ein, von dem man kaum populistische Rhetorik à la BSW erwartet hätte: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist zweifelsohne mehr „Everybody’s Darling“ als ein Demagoge.
Das Vieraugengespräch zu Beginn verläuft angemessen freundlich, professionell – und monoton. Miosga will wissen, was Merkel von der aktuellen CDU-Linie in der Migrationspolitik halten würde (Clip von 2015: „dann ist das nicht mein Land“), Wüst schlägt vor, man solle am besten Merkel selbst fragen. Qualvolle zehn Minuten lang versucht Miosga, ihren Gast zu einer Stellungnahme zur Kanzlerkandidatur zu bewegen. Wüst schafft es jedes Mal, etwas zu sagen, ohne etwas zu sagen. Zweimal fragt Miosga wortgleich, ob NRW-Integrationsministerin Josefine Paul von den Grünen noch das Vertrauen ihrer Regierungschefin habe. Wüst antwortet zweimal wortgleich, man arbeite in inhaltlichen Fragen zusammen.
Zum Schluss kann Wüst sogar noch eine Weisheit mit auf den Weg geben: „Wer mit 50 noch derselbe ist wie mit 20, hat 30 Jahre seines Lebens vergeudet.“ Dieses Muhammad-Ali-Zitat ist eher ein Ausweichmanöver als eine Antwort. Man hätte sich etwas mehr persönliche Reflexion zu der interessanten Frage gewünscht, wie und warum sich Wüst vom jungen konservativen Hardliner zum schwarz-grünen Vorzeigepolitiker wandelte.
Wüst spielt den staatsmännischen Integrator
Inhaltlich hat man in diesen ersten zwanzig Minuten also fast nichts erfahren, aber immerhin konnte man erkennen, als was für ein Politiker sich Wüst präsentieren will. In einer Zeit, in der CDU-Chef Merz und CSU-Chef Söder mit kühnen Forderungen um die Kanzlerkandidatur buhlen, besetzt Wüst den vakanten Posten des staatsmännischen Integrators. Er sitzt immer aufrecht und lächelt freundlich, vergisst nie, die weibliche Form zu verwenden, wenn er von „Lehrern“ spricht. Er hat auf alles eine Antwort, ohne jemals etwas Beleidigendes oder gar Kontroverses zu sagen. Für diese Art zu reden wurde einst der Begriff „Scholz-O-Mat“ geprägt. Wüst hat immerhin etwas mehr Charme.
Zu Beginn des zweiten Teils wird es kurz wild: Zwei Aktivisten aus dem Publikum entrollen Transparente, verpassen aber vor lautem Geschrei die Chance, Miosgas Aufforderung nachzukommen und ihr Anliegen zu äußern. Erst eine später im Internet kursierende Pressemitteilung verrät, dass es vermutlich um den Tod zweier kurdischer Journalisten bei türkischen Drohnenangriffen ging.
Intelligent ausgewählte Experten
Zum Glück verlief das Gespräch auf der Bühne weniger turbulent, diesmal allerdings rund um das Thema Migration und angereichert durch zwei sorgfältig ausgewählte Experten. Der Migrationsforscher Gerald Knaus, der 2016 das EU-Türkei-Abkommen ausgehandelt hatte, ist ein Experte, den man sich gerade in der hitzigen Asyldebatte stärker als Einflussfaktor auf die Politik wünschen würde.
Ebenso weit davon entfernt, Asylsuchende zu diffamieren oder von offenen Grenzen zu phantasieren, berichtet er, dass die Regierungen aller 27 EU-Staaten bestrebt seien, die irreguläre Migration zu begrenzen. Uneinigkeit besteht nur in der Frage, wie dies am besten erreicht werden könne. Hier macht sich Knaus wenig Hoffnung auf Ablehnungen („ginge nicht ohne Grenzzaun“) und schlägt stattdessen vor, Asylverfahren an Drittstaaten zu übertragen. Leider bleibt am Ende der Sendung nicht genug Zeit, um diesen Vorschlag zu diskutieren.
Testen Sie Ihr Wissen im FAZ.NET Nachrichtenquiz und vergleichen Sie sich mit anderen Lesern.
Zum News-Quiz
Die meisten Deutschen würden der Journalistin Gilda Sahebi ihr Land allerdings vermutlich nicht anvertrauen. Zumindest, wenn sie zu den 77 Prozent gehören, die sich laut jüngstem Deutschlandtrend eine Änderung der Asylpolitik und strengere Beschränkungen der Einwanderung wünschen. Diese Sorge vor Migration liege laut Sahebi vor allem im Diskurs in Medien und Politik begründet. Das Gerede von der Überforderung durch Migration sei eine Strategie, mit der Politiker von ihren eigenen Versäumnissen ablenken wollten, sagt sie. Der Bundestag könne die weltweiten Migrationsströme ohnehin nicht steuern.
Sicherlich fallen einem auch Gegenargumente ein (würde ein Staat ohne Zugangskontrollrecht nicht sich selbst aufgeben?). Aber in Zeiten, in denen selbst die Grünen für ihre Ablehnung strengerer Maßnahmen nur noch juristische Gründe anführen, schadet es sicher nicht, solche migrationsfreundlichen Positionen wieder einmal zu hören. Immerhin gibt es auch 18 Prozent der Deutschen, die keine Änderung der Asylpolitik wollen.
Nur Wüsts Krawatte stört das Bild
Während die einzelnen Beiträge interessante Perspektiven eröffneten, beschränkte sich die Moderatorin weitgehend darauf, ihre Gäste miteinander ins Gespräch zu bringen. Alles in allem endlich mal eine zumindest in der zweiten Hälfte gelungene Sendung, in der das Miosga-Format gut funktionierte. Wenn es bei Talkshows schon mal eine größere Wende gibt, möchte man als gestandener Zuschauer eine Obergrenze der Gästezahl und eine Regelung des Politikeranteils fordern.
Hendrik Wüst ließ sich in diesem zweiten Teil allerdings nicht aus seiner Reserve locken. Er versuchte Sahebis Vorwürfe ruhig zu entkräften. Immer wieder distanzierte er sich von den Extremisten und betonte, er stehe immer in gutem Kontakt mit Experten wie Knaus, der zuvor den neuen CDU-Markenkern namens „Ablehnungen“ zerlegt hatte. Je nach persönlicher Vorliebe könnte man das langweilig oder distanziert finden.
Zum perfekten Schwiegersohn fehlte Wüst an diesem Abend nur noch ein modisches Detail: Das Schwarz seiner Krawatte kontrastierte unangenehm mit dem Dunkelblau seines Anzugs. Entscheidender für seine Karriere dürfte sein, ob der Typ „Schwiegersohn“ auch in der Politik beliebt ist – oder ob man nach 20 Jahren Moderation genug hat von lächelnden Merkel und Scholz. Nach der Brandenburger Wahl will die Union bekannt geben, wer ihr Kanzlerkandidat wird.