Ein Kunstmagazin nennt Berlin „postcool“. Und die Band Tocotronic stimmt mit ihrem Song „Bye-Bye Berlin“ in den Abgesang ein. Ist Berlin wirklich nicht mehr beliebt? Was sind die Gründe?
Lisa Marie Schmitt hat fast alle ihre Werke in ihrem kleinen Atelier in Berlin-Wedding aufbewahrt. Auf dem Boden steht ein übergroßer Schuh, auf dem Regal stehen zwei Schlümpfe, die sie aus Wachs gebastelt hat. Für die 34-jährige Bildhauerin und Videokünstlerin ist ihr Atelier nicht nur die Heimat ihrer Kunst, sondern auch ihr kreativer Raum.
Doch Lisa Marie Schmitt macht sich Sorgen, ob sie lange hier bleiben kann. „Meine künstlerische Existenz basiert auf der Tatsache, dass ich günstige Mieten habe“, sagt Schmitt. Für 30 Quadratmeter zahlt sie derzeit rund 170 Euro. Das ist so günstig, weil ihr Atelier vom Berliner Senat gefördert wird. Doch das könnte sich bald ändern.
Berliner Senat kürzt Zuschüsse
Das Land Berlin fördert derzeit mehr als 1.000 Atelierplätze für Künstler. Die Studios sind vermietet oder befinden sich in staatlichen Liegenschaften. Jeder mit einem geringen Einkommen kann sich um ein Zimmer bewerben. Doch der Senat muss sparen und will die Mittel für Arbeitsräume kürzen. Darüber wird derzeit im Berliner Abgeordnetenhaus debattiert. Im Dezember soll eine Entscheidung fallen und dann der Doppelhaushalt 2026/2027 verabschiedet werden.
Ein Drittel der Studiofläche könnte von den geplanten Einsparungen in den nächsten zwei Jahren betroffen sein. Für Schmitt bedeutet das, dass sie bereits im Februar 2026 ihr Atelier verlieren könnte. Auf dem freien Markt würde sie ein Vielfaches ihrer aktuellen Miete zahlen. „Ich kann mir einfach keinen teureren Arbeitsplatz leisten“, sagt der Künstler.
Mehr Raum für Kunst
Und dann? Schmitt erklärt, dass sie oft das Szenario durchgespielt habe, vielleicht nach Bukarest zu ziehen. Dort gebe es noch immer bezahlbare Mieten und leerstehende Industriebauten: „So wie es vielleicht in den 90er- und 2000er-Jahren im Berlin der Fall war.“
Um eine Abwanderung von Künstlern zu verhindern, fordert auch Silke Neumann, Expertin für Kulturkommunikation, mehr Raum für Kunst und Kultur zu berücksichtigen: „Das können auch leerstehende Gebäude sein, wir haben davon eine Vielzahl in der Stadt“, sagt Neumann. Dies wäre insbesondere bei der Zwischennutzung ein Gewinn für alle Beteiligten und würde dazu beitragen, dass Berlin für Künstler attraktiv bleibt.
„Veränderungen sind Chancen“
Allerdings ist Berlin nicht für alle in der Kunst- und Kulturszene unattraktiv geworden. Christian Boros, der seine private Kunstsammlung im Bunker in Berlin ausstellt, sagt, es sei schwieriger geworden als noch vor einigen Jahren. Und doch bleibt Berlin ein Magnet.
Boros glaubt, dass Künstler an Orte kommen, an denen etwas in Bewegung ist: „Sie kommen nicht in eine Stadt, die immer so ist, wie ein Freilichtmuseum. Veränderungen sind keine Entwicklungen, die einem Angst machen sollten, sondern Veränderungen sind immer Chancen.“
Mit Blick auf die Attraktivität Berlins betont Boros, dass die Menschen nicht in die Hauptstadt kommen, um im Tiergarten spazieren zu gehen. Laut dem Kunstsammler wollen sie Spannung und Inspiration. Für ihn ist das selbstverständlich Gegenstand der Kunst. Kunst sei die DNA der Stadt, sagt Boros. Er hält einen Aderlass in der Kultur für tragisch. Kultur in Berlin muss gepflegt, gepflegt und gefördert werden.
Steigende Kosten gefährden das Nachtleben
Neben der Kunstwelt spielt auch das Nachtleben eine große Rolle, wenn es um Berlins Coolness geht. Markus Ossevorth ist Veranstalter und Geschäftsführer einer Eventagentur, die unter anderem vier Bars in der Hauptstadt betreibt. Er beobachtet seit Jahren eine wachsende Zahl von Schließungen, insbesondere im Barbereich.
Für Osseworth ist das kein Wunder: „Wir sind an einem Punkt, an dem wir mit Mieten, Löhnen, Reparaturkosten, Energiekosten immer noch einen Nettogewinn nach Steuern von 0,02 Euro für ein Bier für 4,60 Euro haben. Das ist nicht wirklich viel.“
Zu wenig Freiheit für junge Menschen
Neben den steigenden Kosten sind auch klagende Anwohner zum Problem für Berliner Clubs und Bars geworden. Erst im Juli dieses Jahres entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem solchen Fall zugunsten einer Rechtsanwaltskammer. „Übliche Gastronomiebelästigungen“ in sogenannten Mischgebieten, die dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben dienen, seien „Ortsbrauch“, heißt es in der Entscheidung. Ein kleiner Lichtblick für Bar- und Clubbetreiber.
Abseits des Kultur- und Bargeschäfts blickt Ossevorth auch auf die Situation junger Menschen in der Stadt: „Wenn eine Stadt cool sein will, braucht sie Freiräume für junge Leute, die Dinge ausprobieren können. Dinge ausprobieren können, sehen, was funktioniert, was nicht funktioniert, was ich eigentlich will.“ Laut Ossevorth sind diese Freiheiten knapp geworden.
„Ich fühle mich von Berlin praktisch im Stich gelassen“
Auch die Künstlerin Lisa Marie Schmitt macht sich besondere Sorgen um die junge Generation: „Für Menschen, die gerade erst in ihre künstlerische Laufbahn einsteigen, ist es nahezu unmöglich, Fuß zu fassen.“ Auch für junge Menschen wird Berlin unattraktiv. Lisa Marie Schmitt macht es noch deutlicher: „Ich fühle mich von Berlin geradezu im Stich gelassen.“