![Bundeswehr: Warum deutsche Soldaten den Irak vor Dschihadisten schützen sollen Bundeswehr: Warum deutsche Soldaten den Irak vor Dschihadisten schützen sollen](https://bwabtk.com/wp-content/uploads/2025/01/Verteidigungsminister-Pistorius-in-Jordanien-und-im-Irak.jpg)
Die Regierung in Bagdad fürchtet die neuen Machthaber im Nachbarland Syrien – und hat plötzlich einen sehr viel freundlicheren Blick auf die Nato-Einheiten, die sich noch im Land befinden. Zu ihnen gehören auch Bundeswehrsoldaten, auf die gefährliche Aufgaben zukommen könnten.
Eigentlich wollte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nur einen Weihnachtsbesuch bei den deutschen Soldaten in Jordanien und im Irak abhalten, Hände schütteln, frohe Weihnachten wünschen. Doch dann kam alles anders. Drei Tage zuvor war Baschar al-Assad in Syrien gestürzt worden und die Islamisten von Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hatten die Macht in Damaskus übernommen.
Pistorius wurde zum begehrten Gesprächspartner des irakischen Premierministers Mohammed al-Sudani. Dieser wollte noch vor wenigen Monaten, dass alle ausländischen Truppen sein Land verlassen, und das Mandat, an dem auch die Bundeswehr beteiligt ist, beenden. Der IS sei besiegt, hieß es aus Regierungskreisen in Bagdad.
Aus irakischer Sicht gab es keinen Grund, die zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat von den USA ins Leben gerufene Mission aufrechtzuerhalten, an der sich neben der Bundeswehr weitere 86 Länder beteiligten. Inzwischen haben die meisten den Irak verlassen, 15 sind noch dort. Man fragte sich in Bagdad, warum der Deutsche Bundestag ebendieses Mandat Mitte Oktober nochmals verlängert hatte.
Heute fragt man sich das nicht mehr, denn der 7. Dezember veränderte die Sicherheitslage dramatisch. Als sich fast 3000 syrische Soldaten mit ihren Panzern und Militärfahrzeugen in den Irak absetzten, war klar, dass Assads letzte Stunde als Präsident Syriens geschlagen hatte.
Als kurz darauf Damaskus fiel und Bilder um die Welt gingen, wie die Islamisten die Statue von Hafis al-Assad, dem Vater Baschars, vom Sockel rissen und den abgetrennten Kopf durch die Straßen zogen, fühlten sich viele an Bagdad im Dezember 2003 erinnert, als der irakische Diktator Saddam Hussein gestürzt wurde. Nicht wenige in der irakischen Hauptstadt hielten die Luft an, einige waren geradezu entsetzt.
Mit aller Kraft versucht die irakische Regierung, sich nicht in den Strudel des Krieges in der Region hineinziehen zu lassen. Gaza, Libanon und jetzt Syrien: Sie hilft, schickt Lebensmittel, eine Bäckerei nach Gaza, Weizen in den Libanon. Aber militärisch will man sich heraushalten, auch wenn die mit Iran verbündeten Schiitenmilizen einige Geschosse Richtung Israel abgefeuert und zweimal Ziele in Eilat, der Hafenstadt am Roten Meer, getroffen haben.
Die Hisbollah ist im Irak wie auch im Libanon vertreten, beide sind verbündet. Aber in den Krieg ist die irakische Hisbollah nicht eingetreten. Auch nicht, als es um den Machterhalt Assads in Syrien ging, der lange Jahre vom Iran und der von ihm aufgebauten Hisbollah unterstützt wurde.
Die irakischen Milizionäre, die an die Grenze zu Syrien eilten, um ihren durch israelische Luftangriffe geschwächten Kollegen dort zu helfen, gerieten von den in Grenznähe stationierten US-Truppen unter Beschuss und traten unmittelbar den Rückzug an.
Der einflussreiche schiitische Geistliche, Politiker und Milizenführer Moktada al-Sadr, der schon länger auf Abstand zum Iran drängt, gab gleich die Parole aus, kein schiitischer Kämpfer werde mehr Assad zu Hilfe eilen. Der Irak hat sofort seine Grenzen nach Syrien geschlossen. Fast täglich zeigt das irakische Fernsehen nun Generäle und hochrangige Offiziere der Armee, die die Überwachung der Grenze überprüfen.
Kein Asyl für desertierte Soldaten aus Syrien
Die desertierten Soldaten aus Syrien würden kein Asyl im Irak bekommen, heißt es aus dem Umfeld des irakischen Präsidenten Abdul Latif Raschid. Man warte auf eine Gelegenheit, sie sicher nach Syrien zurückzuschicken.
Die Haltung des Iraks ist umso erstaunlicher, als dass das Land zwischen Euphrat und Tigris die letzte Bastion der sogenannten Achse des Widerstands für den Iran darstellt. Denn die Hamas im Gaza-Streifen ist militärisch besiegt, die Hisbollah im Libanon geschwächt und Syrien verloren. Auch die Angriffe der Huthis im Jemen auf die internationale Schifffahrt haben nachgelassen, allerdings die Attacken auf Israel zugenommen.
Von den großen von Teheran kontrollierten Milizen und Gebieten bleibt also nur noch der Irak. Dabei hat der Iran seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 kontinuierlich seinen Einfluss in der Region ausgeweitet mit dem Ziel, einen schiitischen Dschihad zu verbreiten, wie es Revolutionsführer Ajatollah Khomeini damals ausdrückte.
Der Krieg mit dem Irak (1980-1988) hielt diese Expansion allerdings über Jahre hin auf. Der schiitische Halbmond, wie sich die Strategie Irans beschreiben lässt, nahm erst durch den Sturz Saddam Husseins und dem darauffolgenden Chaos durch die amerikanische Besatzung im Irak Gestalt an. Das Machtvakuum, das die Amerikaner durch ihren Abzug 2011 hinterließen, konnte der Iran schnell füllen.
„Weimar in Bagdad“ nennt der irakische Botschafter in Berlin, Lukman Faily, in seinem gerade erschienenen Buch „Die Weimarer Republik und die Lektionen für den Irak“ die Situation seines Landes und zieht Parallelen. Die Weimarer Republik in Deutschland sei entstanden, als eine transnationale Revolution in der Nachbarschaft stattfand – die Russische Revolution. Diese Situation sei vergleichbar mit der nach der islamischen Revolution im Nachbarland Iran.
Der Iran als Regionalmacht ist geschwächt
Die Angst und die Auswirkungen der Bolschewiki damals auf Deutschland schufen demnach eine eigene Dynamik, einhergehend mit den Versuchen einer internationalen Eindämmung und geopolitischen Veränderungen. Die Geopolitik Iraks und Deutschlands sei die eines Transitlandes und nicht die einer isolierten Insel, schreibt Faily.
Deshalb wird auch der Umbruch in Syrien und der damit einhergehende Übergang des Einflusses von Russland und dem Iran auf die Türkei und Katar nicht ohne Auswirkungen auf den Nachbarn Irak bleiben. Irans Rolle als Regionalmacht ist erheblich geschwächt, das regionale Kräftegleichgewicht ändert sich gerade rasant.
Iraks Premier Sudani reagierte schnell. Er könne sich vorstellen, die ungeliebte Anti-IS-Koalition durch eine erweiterte Nato-Mission zu ersetzen. Zwar gibt es seit 2020 bereits eine beratende und ausbildende Mission der Allianz im Irak, bei dem auch deutsche Soldaten im Einsatz sind. Doch es blieb eine reine Ausbildungsmission.
Die Nato-Mission ist„diskret und leise“
Über die Stärke der Nato-Präsenz im Irak wird weitgehend Stillschweigen bewahrt. Von 500 bis 4000 Soldatinnen und Soldaten ist die Rede. Das Washington Institute beschreibt die Mission als „diskret und leise“, den Bedürfnissen des Iraks angemessen. Einen Kampfauftrag habe die Nato-Mission bis jetzt nicht.
Das könnte sich bald ändern. Im Irak schrillen mit Blick auf Syrien die Alarmglocken, denn die Ähnlichkeiten lassen nichts Gutes ahnen. Die Soldaten der Assad-Armee desertierten – wie vor zehn Jahren die Streitkräfte der irakischen Armee. Die Eroberung von weiten Teilen des Iraks und jetzt Syriens erfolgte im Blitzkrieg.
Sieg „für die gesamte islamische Nation“
Wie im Jahr 2014 der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi in der an-Nuri Moschee in Mossul, trat HTS-Chef Abu Mohammed al-Dscholani in der Omajjaden Moschee in Damaskus auf und verkündete den Sieg „für die gesamte islamische Nation“. Die Iraker erfuhren bald nach der Verkündung al-Baghdadis, was die Herrschaft der Dschihadisten bedeutet, in weiten Teilen Nordiraks verübten sie unfassbare Grausamkeiten.
Die Anti-IS-Allianz brauchte über drei Jahre, bis sie 2017 die Terrormiliz besiegt hatte. Nun stellen sich viele die Frage, ob es einer erneuten internationalen Mission bedarf, um einen Vormarsch von Dschihadisten zu verhindern.
Deutschland sei bereit, sein Engagement fortzusetzen und gegebenenfalls auszubauen, sagte Verteidigungsminister Pistorius in Bagdad. Es sei „extrem wichtig, die Chance, die sich jetzt bietet, zu nutzen, ohne übersteigerte Erwartungen zu haben“.