Hunderttausende schauen zu, wie Joshua Krebs als „CinematicSergeant“ Videos aus seinem Leben als Soldat teilt. Hier spricht er über Patriotismus, eine Fehde mit der „taz“ und die Erfahrung, selbst Ziel von Angriffen zu werden.
Bedrohliche Musik, detaillierte Aufnahmen von Panzerkanonen, Bruchstücke von Funksprüchen – die Videos von „CinematicSergeant“ wirken wie aus einem Actionfilm. Im wirklichen Leben ist es Joshua Krebs, ein 30-jähriger Panzerkommandant der Bundeswehr, der mit fast einer halben Million TikTok-Followern zu einem der wichtigsten Influencer der Truppe geworden ist. Über seinen Dienst erscheint derzeit ein Buch mit dem Titel „Inside Bundeswehr“.
Herr Krebs, Sie sagen, die Bundeswehr müsse wieder „cool“ werden. Was bedeutet das?
Joshua Krebs: Seit Jahren wird die Bundeswehr aus der Mitte in den Schatten der Gesellschaft gedrängt. Teile der Bevölkerung, Medien und sogar Politiker betrachten Polizei und Militär als Unterdrücker oder Bösewichte. Nun ändert sich das zum Glück – einerseits durch die Kommunikation auf den offiziellen Kanälen, aber auch über inoffizielle Kanäle wie zum Beispiel meinen.
WELT: Sie machen keine Werbung für die Bundeswehr, aber Sie nutzen ihre Infrastruktur, filmen Übungen, zeigen die Uniformen – wie sieht die Vereinbarung zwischen Ihnen und der Truppe aus?
Krebs: Dass ich überhaupt Videos mit dieser Reichweite machen würde, war ursprünglich nicht geplant. Ich bin Panzerkommandant und habe irgendwann ein paar Clips gedreht, die meine Kameraden an ihre Familien schicken konnten. Sie landeten auf Umwegen bei meinem Kommandanten, der mir vorschlug, während einer Panzerübung auf Sardinien noch ein paar Dinge zu schießen, was sofort viral ging.
WELT: Auf Bundeswehrhandys ist TikTok nicht erlaubt, auch für die Presse gibt es klare Regeln, was auf Militärgelände gefilmt werden darf. Stoßen Sie auch intern auf Widerstände gegen Ihre Arbeit?
Krebs: Bisher habe ich mich nirgendwo beleidigt gefühlt, bin aber immer den offiziellen Weg gegangen. Vor jeder Übung, die ich filme, erkläre ich genau, was ich vorhabe. Und ich achte genau darauf, ob Geodaten oder Funknachrichten ausgewertet werden können. Ich zeige meine Kameraden nur in Ausnahmefällen, um ihre Identität zu schützen. Denn Geheimdienste schauen sich bestimmt auch meine Videos an. Auch wenn es den Anschein erweckt, als würde man die Clips im Moment direkt sehen, sind sie größtenteils unzusammenhängend.
WELT: Gibt es für Sie Einschränkungen bei der Produktion?
Krebs: Ich möchte nicht nur starke Bilder mit musikalischer Untermalung liefern, sondern auch informieren und aufklären. Ich würde auch nichts Unwahres darstellen. Hin und wieder inszeniere ich durchaus Szenen, etwa wenn wir auf einem Panzer eine Deutschlandfahne in den Wind halten – einfach weil es auch die Fahne ist, die wir am Ärmel tragen und für die wir stehen.
WELT: Die deutsche Flagge ist ein wiederkehrendes Motiv in deinen Videos und ist in gewisser Weise auch zu deinem Markenzeichen geworden. Warum?
Krebs: Ich bin der Meinung, dass die Deutschlandfahne nicht nur bei der WM gehisst werden sollte. Gesunden Patriotismus mit Faschismus in Verbindung zu bringen, ist selbstzerstörerischer Unsinn. Wir haben so viele Freiheiten und Rechte, die unser Land schützenswert machen. Dafür stehen wir ein, dafür würden wir sterben – und dafür steht die Deutschlandfahne. Die meisten Zuschauer in den Kommentaren sind froh, dass sich die Wahrnehmung etwas ändert. Natürlich gibt es ein paar Spinner aus der rechtsextremen Szene, die das mit einer Armee aus der Vergangenheit in Verbindung bringen, aber davon distanziere ich mich klar.
WELT: Wie sieht eine typische Kommentarspalte aus, wenn ein Video viral geht und Menschen erreicht, die nicht zu Ihrer Kernzielgruppe gehören?
Krebs: Viele Menschen danken mir für meinen Einsatz oder möchten mehr über Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten in der Bundeswehr erfahren. Ich habe auch 30 Prozent der Amerikaner als Anhänger, die froh sind, einen starken Verbündeten zu haben.
Dazu gehören aber auch viele – vermutlich russische – Bots, die versuchen, in den Kommentaren kontroverse Debatten zu entfachen. Ein ehemaliger Bundeswehrsoldat erzählte mir einmal von seinen Erfahrungen nach seinem Eintritt in die Freiwilligenlegion der Ukraine. Auch er wurde im Kampf verwundet. Innerhalb von zwei Minuten gab es unter dem Video eine Reihe von Beleidigungen, von „Es ist eine Schande, dass du nicht gestorben bist“ bis hin zu Diffamierungen der Ukraine als Nazi-Land. Dies ist ein Versuch, die allgemeine Stimmung zu manipulieren.
WELT: Wer gibt hierfür den Auftrag?
Krebs: Ich weiß es nicht genau. Doch es gibt eine Reihe von Berichten über russische Trollfabriken. Gerade als ich die Ukraine erwähne, erscheinen Minuten später Hunderte von diffamierenden Kommentaren, die keinen natürlichen Bezug zu Ansichten und Likes haben.
WELT: Hatten Sie während Ihrer Stationierung in Litauen auch Erfahrungen mit hybrider Kriegsführung abseits des Internets?
Krebs: Ja, wir wurden darüber informiert, dass dort Soldaten in ihrer Freizeit gezielt provoziert wurden. Wenn sie sich wehrten, wurde das gefilmt und das Videomaterial später auf Telegram-Kanälen verbreitet. Die Botschaft war: Die NATO ist nicht hier, um zu helfen. Dabei kann es sich um pro-russische Staatsbürger oder disponible Agenten handeln, die mitunter im Verdacht stehen, mit Russland zu kollaborieren. Manchmal konnte man auf den Funkstrecken auch russisches Geschwätz hören. Die Nähe zu Weißrussland und Kaliningrad soll mahnen, dass wir nicht allein sind.
Ich persönlich habe einmal mit meinem Partner telefoniert und kurz darauf einen Anruf von einer unbekannten Nummer erhalten, in dem einzelne Ausschnitte dieses Gesprächs abgespielt wurden. Am Telefon wurden Angehörige von Kameraden belogen, ihr Mann sei bei einer Übung gestorben – auch so funktioniert hybride Kriegsführung. Ich persönlich habe aufgelegt, den Vorfall gemeldet und das war in Ordnung.
WELT: Ihr TikTok-Konto wurde bereits mehrfach gesperrt, und Sie vermuten auch hier einen Eingriff …
Krebs: Wenn viele Nutzer meine Videos melden, reagiert der Algorithmus auf diese ständige Diffamierung. Es gibt Spieler, die versuchen, ein Konto zu schwächen, das der Rekrutierung der Bundeswehr förderlich ist. Grundsätzlich wurde ich von TikTok oft eingeschränkt, weil eine KI dort automatisch Waffen erkennt, die nur in einer „sicheren Umgebung“ auf der Plattform gezeigt werden können. Das mache ich, wenn ich Videos von Schießständen oder Übungsplätzen mache. Ich musste noch eine Klage gegen mein Konto bei einem Anwalt einreichen.
WELT: Sie kritisieren die Geringschätzung der Bundeswehr in den Medien. Wie entsteht dieser Eindruck?
Krebs: In der Berichterstattung über die Bundeswehr heißt es oft, dass es aufwärts geht, doch am Ende wird das Gesamtbild in ein schlechtes Licht gerückt. Ich habe dies am eigenen Leib erfahren, als ich eine 3Sat-Dokumentation drehte, die über meine Arbeit berichten wollte. Schließlich lautete ihre Schlagzeile „Make War Cool Again“ – aber darum geht es nicht! Wir fördern keinen Krieg, sondern sorgen durch genügend Personal dafür, dass es in diesem Land nicht dazu kommt!
WELT: In einem Artikel in der „taz“ wurde Ihnen vorgeworfen, dass Ihre Videos nichts mit der Realität einer blutigen Kriegsanstrengung zu tun hätten.
Krebs: Man sollte nicht davon ausgehen, dass junge Menschen dumm sind. Sie schauen sich auch die Nachrichten an und schauen sich Videos aus der Ukraine auf TikTok an. Sie wissen, dass der Militärdienst in extremen Notfällen zu Tod und Verletzung führen kann. Das muss man nicht in jedem Video explizit zeigen. Ich habe auch einen Podcast, in dem ich mit Kameraden über diese Schattenseiten diskutiere und auch über posttraumatische Belastungsstörungen spreche.
WELT: Derzeit wird über die Wiedereinführung der Wehrpflicht debattiert. Glaubst du, das ist der richtige Weg?
Krebs: Eher ja. Aber ich weiß nicht, ob die Wehrpflicht mit einem Fingerschnippen wieder eingeführt werden kann. Ich selbst war jemand, der nie vorhatte, zur Bundeswehr zu gehen, und mit meiner rebellischen Art passte ich zunächst nicht so richtig dazu. Für mich persönlich war der Service sehr, sehr gut. Die Bundeswehr ist so vielfältig, dass es Optionen vom Sanitätsdienst über die Verwaltung bis hin zur Kampftruppe gibt. Ich kann jungen Menschen nur empfehlen, sich damit vertraut zu machen.
WELT: Wie antworten Sie denen, die Angst vor dem Militärdienst haben?
Krebs: Ich glaube, dass man als junger Mensch keine Angst vor der Bundeswehr haben muss. Zunächst mag es seltsam sein, sich in einer Kaserne mit vielen anderen wiederzufinden, mit denen man im zivilen Leben vielleicht nicht viel zu tun hat. Ich habe die ersten beiden Tage auch darüber nachgedacht, ob ich nicht die Reißleine ziehen sollte. Heute sind meine Aufgaben vielfältig, ich sehe viele verschiedene Orte und erlebe meinen Dienst als Abenteuer. Man wird nicht mehr den ganzen Tag angeschrien, wie man es vielleicht vor 30 Jahren getan hat.
WELT: Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist der Untergang des Bündnisses nicht mehr so weit entfernt wie gedacht. Welche Rolle spielt Angst in Ihrem Leben?
Krebs: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, war ich gerade Vater geworden und engagierte mich gleichzeitig in der VJTF – der „Very High Readiness Joint Task Force“, einer schnellen Eingreiftruppe der NATO. Damals konnte ich zwei Tage lang nicht schlafen, weil ich zum ersten Mal wirklich am eigenen Leibe gespürt habe, dass sich in der Sicherheitsstruktur Europas etwas verändert. Aber ich denke immer noch, dass eine starke NATO für jeden potenziellen Gegner sehr unattraktiv ist, solange wir uns politisch und sozial nicht spalten lassen.
WELT: Sie haben geschrieben, dass Sie Ihren Vater verloren haben, als Sie als Teenager zur Bundeswehr kamen.
Krebs: Ich komme aus einem Akademikerhaushalt und in meiner Familie gab es kaum Kontakte zum Militär. Mein Vater erwartete, dass ich irgendwann mein Abitur machen und in einem Büro arbeiten würde. Als ich die Entscheidung zum Militärdienst mitteilte, sagte mein Vater: „Okay, dann ist das vorbei.“
WELT: Haben Sie keinen Kontakt mehr?
Krebs: Nein, ich habe seit etwa 15 Jahren nichts mehr gehört. Er macht es durch. Aber das nehme ich ihm nicht übel. Da ich mit 17 Jahren ausgezogen bin, habe ich schon früh gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen.
WELT: Wie wird Ihrer Meinung nach das Bild der Bundeswehr in 10 Jahren aussehen?
Krebs: Besser als jetzt. Ich merke, dass sich schon jetzt vieles zum Besseren verändert, weil die Menschen wieder verstehen, dass es die Bundeswehr braucht. Durch die sozialen Medien fällt es mir leichter, mit Menschen zu kommunizieren als früher, als ich sie vielleicht an der Kasse im Supermarkt hätte treffen müssen. Ich hoffe, dass die Bundeswehr dann noch stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft rückt.
Joshua Krebs alias CinematicSergeant, „Inside Bundeswehr: Wie die Truppe tickt und warum wir sie stärken müssen“, Riva, 20 €
Friedrich Steffes-lay ist Redakteur in der Abteilung News & Society und schreibt über politische Themen, insbesondere Verteidigung, Sicherheit und soziale Medien.