Die Bundesbank warnt vor Verwerfungen an den Aktienmärkten und fordert die Großbanken auf, mehr Bilanzverlustpuffer zu schaffen. „Ich bin besorgt über die hohen Bewertungen an den Finanzmärkten. Es besteht erhebliches Potenzial für Rückschläge“, sagte Bundesbank-Vorstandsmitglied Michael Theurer bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts am Donnerstag in Frankfurt. Theurer, bei der Bundesbank zuständig für Bankenaufsicht und Finanzstabilität, verwies auf die hohen Bewertungen an den Aktien- und Unternehmensanleihemärkten. „Die Erfahrung lehrt uns, dass Märkte ihre Einschätzung plötzlich ändern können“, sagte Theurer. Marktpreiskorrekturen könnten „erhebliche Verluste“ für Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften auslösen. Auch die Kapitalpolster der Großbanken bereiteten Theurer Sorgen. „Wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, das regulatorische Kapital scheint eine komfortable Situation zu signalisieren, aber das kann sich ändern, wenn die Kreditrisiken der Unternehmen steigen“, sagte der Vorstand der Bundesbank. Banken sollten daher ihre Risikovorsorge erhöhen.
Die Angst vor einem Absturz wächst
Die aktuellen Warnungen der Bundesbank unterstreichen die wachsende Sorge von Anlegern und Aufsichtsbehörden vor einem Preisverfall oder gar einem Absturz an den Finanzmärkten. Theurer ist mit seinen Sorgen nicht allein; Viele erinnern sich an die Finanzkrise vor mehr als 15 Jahren. „Aktuell besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu 2007, auch wenn die Banken über mehr Kapital verfügen und daher robuster sind. Aber die Marktteilnehmer reagieren heute schneller als damals, können sehr schnell Geld abheben und viele Dinge sind extrem hoch bewertet“, sagt ein anderer europäischer Bankenaufseher, der nicht namentlich genannt werden wollte. Besonders besorgt ist die Person um die Stabilität der Großbanken, die mit komplexen Derivaten und Kreditgeschäften teilweise weiterhin hohe Risiken eingehen. „Ich weiß, wie komplex diese Konstrukte geworden sind, die Bilanzen dieser Institute sind grundsätzlich instabil, sie stehen oft am Rande des Chaos und sind kaum zu bewältigen“, waren die ungewöhnlich klaren Worte des Bankenkontrolleurs.
Auf den ersten Blick sieht alles gut aus: Die Aktienmärkte notieren nahe ihren Rekordhochs, die meisten Großbanken sind hochprofitabel und verdienen derzeit gut im Wertpapierhandel und bei Fusionen. Allerdings trüben weiterhin unauffällige Ereignisse das Bild. Vor einigen Monaten führten Bilanzprobleme zweier kleiner US-Regionalbanken plötzlich zu massiven Kursverlusten bei Bankaktien auf der ganzen Welt. In Deutschland hingegen verschreckte die Münchner Pfandbriefbank ihre Eigentümer, als ihre Aktien am Montag in der Spitze rund 17 Prozent verloren. Was genau die Gründe dafür waren, ist noch unklar. An den Finanzmärkten herrsche „unter der Oberfläche eine gewisse Nervosität“, sagte Theurer.
Die Deregulierung des Bankensektors in den USA erhöht die Risiken
Hinzu kommt die von der Trump-Administration vorangetriebene Lockerung der Regulierung für US-Banken, beispielsweise durch geringere Kapitalanforderungen. Hohe Kapitalpuffer seien wichtig, um Verluste abzufedern, so die Lehre aus der Finanzkrise. „Das haben wir Regulierungsdumping„Das gefährdet das System“, sagt die Aufsichtsbehörde. Wenn die Amerikaner die Standards schwächen und sich die US-Institutionen hier nicht an „unsere“ Anforderungen halten, sollte Europa sogar darüber nachdenken, den Markt für US-Institutionen einzuschränken. Das wäre ein weitreichender Schritt. Doch nicht nur die Aufsichtsbehörden machen sich zunehmend Sorgen, auch Branchenvertreter warnen: „Die Schwächung der Aufsicht wird ihren Tribut fordern. Vor allem die laxeren Kapitalanforderungen. Ich erwarte eine Korrektur an den Kreditmärkten“, sagte der hochrangige Manager einer angelsächsischen Großbank, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen wollte. Solche Aussagen sind durchaus brisant.
Gefahren auf den internationalen Schuldenmärkten
Besondere Sorge bereitet der Bundesbank die Entwicklung im sogenannten Privatkreditbereich: Dabei handelt es sich um eine Form der Kreditfinanzierung, bei der Unternehmen Kredite direkt von Spezialfonds und institutionellen Anlegern wie Versicherungen erhalten, ohne den Umweg über klassische Banken. Allerdings finanzieren wiederum Banken diese Mittel. „Das Marktvolumen ist deutlich gewachsen, mittlerweile auf rund 2,5 Billionen US-Dollar“, sagte Theurer und verwies darauf, dass 90 Prozent dieser Kredite in den USA seien.
:„Wenn die Staatsanleihen umkippen, drehen auch die Banken um“
Klaus Masuch, ehemaliger EZB-Ökonom und ehemaliges Mitglied der Troika in Griechenland, kritisiert im SZ-Interview die Schuldenpolitik der EU-Staaten und die Rettung von Banken. Er fordert Reformen für eine unabhängige Zentralbank und eine gerechte Lastenverteilung.
Ein weiterer Schwerpunkt sind laut Bundesbank die möglichen Folgen einer hohen Staatsverschuldung in Europa und weltweit. „Damit die Schulden tragbar bleiben, muss Europa ein langfristig stabiles Wirtschaftswachstum erreichen“, sagte Theurer. Strukturreformen müssten mit glaubwürdigen, strengen Fiskalregeln einhergehen. „Angesichts des demografischen Wandels, der Strukturveränderungen, des schwachen Wachstums und der stark gestiegenen Refinanzierungserfordernisse und Zinsaufwendungen braut sich eine Gesamtsituation zusammen, die erhebliche Risiken für die Finanzstabilität birgt“, warnte Theurer. Dies muss klar dargelegt werden. Prognosen zufolge könnten die Zinsausgaben im italienischen Haushalt von derzeit rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Ende dieses Jahrzehnts möglicherweise auf 6,5 Prozent steigen. In Frankreich könnte sie von zwei Prozent auf 4,5 Prozent steigen. Dies seien Variablen, die von den Anleihemärkten wahrgenommen werden dürften, sagt Theurer, und die zeigten, dass Handlungsbedarf bestehe.
Die Preise für Wohnimmobilien steigen wieder
Zumindest hat die Bundesbank Entwarnung für den deutschen Wohnimmobilienmarkt gegeben. Die Preise würden sich erholen, nachdem sie infolge der Corona-Pandemie deutlich gesunken waren. „Seit Ende letzten Jahres steigen die Preise wieder. Insgesamt sind die Überbewertungen der Vergangenheit weitgehend verschwunden“, sagte Theurer. Allerdings bleibe die Situation im deutschen Gewerbeimmobiliensektor weiterhin „fragil“.
