Bürokratieabbaugesetz: „Ein Geschenk an die Kriminellen“

Bürokratieabbaugesetz: „Ein Geschenk an die Kriminellen“

Stand: 19.09.2024 11:09 Uhr

Für Ermittler könnte es künftig schwieriger werden, Steuerbetrug wie Cum-Ex zu verfolgen. Grund dafür ist ein Gesetz, das kommende Woche verabschiedet werden soll. Experten warnen vor Milliardenschäden.

Die Sonne scheint über Schloss Meseberg, als Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Morgen des 30. August 2023 vor die Kameras tritt. Die Ampel-Koalition hat eine Klausur vereinbart – und ist sichtlich gewillt, Optimismus zu verbreiten.

„Wir wollen dem Bürokratie-Burnout ein Ende setzen.“ Das Vierte Bürokratieabbaugesetz soll Licht ins Formular- und Vorschriften-Dickicht in Deutschland bringen.

Mehr als ein Jahr ist seit der Sitzung vergangen, nächste Woche soll das Gesetz nun im Bundestag verabschiedet werden. Eine der wichtigsten Maßnahmen: Laut dem Gesetzentwurf soll die Aufbewahrungsfrist für Steuer- und Buchhaltungsunterlagen von zehn auf acht Jahre verkürzt werden.

Ziel ist es, Papierberge zu vermeiden und Kosten für Archivflächen in Unternehmen einzusparen. Bürgern und Unternehmen soll die neue Maßnahme rund 626 Millionen Euro im Jahr ersparen. Herzstück des neuen Gesetzes ist in puncto Einsparungen die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist.

Verfolgung von Steuerkriminalität wird schwieriger

Während sich die Wirtschaft freut, befürchten manche, dass die geplante Regelung bei Staatsanwälten und Steuerfahndern zu einem Burn-out führen wird. Steuerbetrug wie Cum-Ex, Cum-Cum oder Mehrwertsteuerkarussells, mit denen Kriminelle den Fiskus um Milliarden berauben, könnte künftig noch schwerer aufzudecken sein.

Die frühere Cum-Ex-Chefermittlerin und heutige Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation „Finanzwende“, Anne Brorhilker, kritisiert die Vorschrift: „Die Bundesregierung erleichtert damit Steuerhinterziehung. Eine Speicherfrist von acht Jahren ist viel zu kurz, denn schwere Steuervergehen verjähren erst nach 15 Jahren. Die Täter könnten zwar eigentlich noch strafrechtlich belangt werden, dürfen aber quasi legal Beweise vernichten. Die Unterlagen sind dann weg und damit auch die Milliarden.“

Umkehr der bisherigen Politik

Interessant dabei ist, dass die Bundesregierung erst vor wenigen Jahren die Verjährungsfrist für besonders schwere Steuerhinterziehung von zehn auf 15 Jahre erhöht hat. Die Regelung sollte den Ermittlern die nötige Zeit geben, um mit der hochkomplexen Strafverfolgung von Steuersündern beginnen zu können.

Auch Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, sieht in dem Gesetzentwurf die Gefahr, das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit zu untergraben. Die Gewerkschaft vertritt die Interessen von Finanzbeamten und Steuerfahndern. „Der Gesetzgeber öffnet Kriminellen Tür und Tor. Er verschwendet leichtfertig die Ressourcen des Rechtsstaates. Unnötig und sinnlos. Ein Geschenk an die Kriminellen“, sagt Köbler.

Experte glaubt Milliardenschaden für mögliche

Im Referentenentwurf rechnet das Finanzministerium mit Steuerausfällen von 200 Millionen Euro pro Jahr durch die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen. Und selbst diese Zahlen hält Köbler für zu niedrig: „Die Realität dürfte weitaus schlimmer sein. Denken wir an die Milliardenverluste, die durch Mehrwertsteuerkarusselle, Cum-Ex und ähnliche Betrügereien entstehen.“

Auch die Aufklärung sogenannter Cum-Cum-Geschäfte könnte durch die Pläne einen Rückschlag erleiden. Insgesamt wurde der Staat bei diesen Geschäften um schätzungsweise 35 Milliarden Euro geprellt. Der Vertreter der Steuergewerkschaft warnt: „Finanzämter brauchen oft Jahre, um komplexe Steuerkonstruktionen aufzudecken. Die geplante Kürzung ist deshalb ein gefährlicher Schritt. Sie behindert die Aufklärung von Cum-Cum- und ähnlichen Geschäften.“

Uneinigkeit bei der Ampel

Nicht nur von außen hagelte es Kritik, auch hinter den Kulissen, heißt es in dem WDR sorgte für viel Ärger unter Ampelpolitikern. Während Finanzpolitiker von SPD und Grünen die Regelung kritisierten, waren es offenbar vor allem FDP-Politiker, die auf die Änderung drängten – allen voran Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Buschmann. Auch das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium soll die Verkürzung unterstützt haben.

Der finanzpolitische Sprecher der SPD, Michael Schrodi, zweifelt an der Sinnhaftigkeit des Gesetzes. Es sei unverständlich. „Die Aufbewahrungspflicht hatte einen Zweck, nämlich den Schutz vor Steuerbetrug. Durch die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist werden die Chancen, Steuerhinterziehungen im neunten und zehnten Jahr aufzudecken, verschlechtert.“

Den damit verbundenen Steuerausfällen stünden nur geringe und abnehmende bürokratische Entlastungen für Unternehmen gegenüber, sagte Schrodi. „Ich habe in den Gesetzesberatungen ausdrücklich darauf hingewiesen. Aber Wirtschaftsministerium und Finanzministerium haben auf der Kürzung bestanden.“

Finanzministerium sieht Steuerhinterziehung nicht erleichtert

Das federführende, FDP-geführte Bundesfinanzministerium beruhigte die Öffentlichkeit auf Nachfrage derweil: „Die Aufbewahrungsfrist für Buchhaltungsunterlagen (zehn Jahre) und die Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen (15 Jahre) sind nach geltendem Recht nicht gleichzusetzen. Insofern ist das nichts Neues.“ Die Neuregelung werde die Steuerhinterziehung nicht erleichtern, heißt es aus dem Ministerium, da sie nur Buchhaltungsunterlagen betreffe.

Zudem seien Maßnahmen ergriffen worden, um Betriebsprüfungen bei Unternehmen künftig schneller beginnen und abschließen zu können. „Andererseits erlischt die Aufbewahrungsfrist nicht, solange Unterlagen für Steuern relevant sind, für die die Veranlagungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Damit kann die Aufbewahrungsfrist im Einzelfall über acht Jahre hinaus verlängert werden.“

Finanzwende-Chef Brorhilker befürchtet, dass die geplanten Änderungen die Ermittlungen gefährden würden.

Brorhilker warnt vor Dunkelfeld

Finanzwende-Geschäftsführer Brorhilker hält die Argumentation für eine Nebelkerze: „Der Einspruch des Finanzministeriums bezieht sich nur auf Fälle, die den Behörden bereits bekannt sind und bei denen bereits Prüfungen oder Ermittlungen laufen. Gerade bei Cum-Cum-Fällen gibt es aber offensichtlich eine sehr große Zahl noch unaufgedeckter Fälle.“

Und weil Cum-Ex- und Cum-Cum-Fälle erfahrungsgemäß verschwiegen werden, um ihre Aufklärung zu erschweren, kommt die Verwicklung etwa einer Bank meist erst Jahre später ans Licht“, sagt Brorhilker. „Je kürzer aber die Aufbewahrungsfrist ist, desto größer ist die Chance, dass die Beweise anschließend legal vernichtet werden.“

Einsparungen nach unten korrigiert

Auch die Frage, wie groß der Nutzen der Regelung tatsächlich ist, sorgte in der Ampelkoalition für Diskussionen. Bereits im Bürokratieabbaugesetz 3 war eine Reduzierung vorgesehen, wurde aber nicht umgesetzt. Das Finanzministerium schätzte die Ersparnis für die Unternehmen damals auf 1,7 Milliarden Euro jährlich, mittlerweile sind es nur noch 626 Millionen Euro.

SPD-Finanzpolitiker Schrodi sieht angesichts der zunehmenden digitalen Speicherung von Dokumenten keine nennenswerte Entlastung. Das Gesetz selbst beziffert die Ersparnis für ein Unternehmen mit digitaler Speicherung auf zwölf Euro pro Jahr. „Würde die Speicherfrist um zwei Jahre verkürzt, ergäbe dies pro Unternehmen lediglich eine Ersparnis von 24 Euro.“

Den Berechnungen zufolge würden Unternehmen, die noch immer Papierbelege aufbewahren, in zwei Jahren rund 700 Euro einsparen. Dem gegenüber stünden Hunderte Millionen an entgangenen Steuereinnahmen, die dem Staat durch die Neuregelung entgehen. Freuen dürfte sich darüber Wirtschaftsverbände, die sich für die Verkürzung stark gemacht hatten – etwa der Steuerberaterverband, der sogar eine Verkürzung auf fünf Jahre gefordert hatte.

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