Beginnen wir einmal mit einem Comic. Auf einer Zeichnung von Tex Rubinowitz stehen zwei Herren vor einer unspektakulären Hecke, der eine fragt: „Ist der Busch schon beschriftet?“ und der andere sagt: „Das ist Ginster, Alter, Ginster!“
Jetzt wird also das neueste politische Unterholz wieder richtig beschriftet, umetikettiert. Wie die Nachrichtenagentur dpa erfahren hat, wird der Vorstand dies dem Parteitag im Dezember vorschlagen BSW Umbenennung von „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in „Bündnis für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft“. Uff, sagen Sie erleichtert, als politischer Beobachter, aber auch als beispielsweise Vater, der sich noch an den unerbittlichen Druck erinnert, gemeinsam mit seinem Familienbündnispartner über eine Bezeichnung – ähm, einen Namen – für sein Kind zu entscheiden. Ohne geht es einfach nicht, das Standesamt ist so gnadenlos wie das Parteiengesetz. Und überhaupt: „Falsch benannte Dinge machen das Unglück auf der Welt noch schlimmer“, wusste bereits Albert Camus.
Wagenknecht hatte die Namensänderung schon vor längerer Zeit angekündigt, nun ist ihre persönliche politische Zukunft offener denn je und es ist höchste Zeit für einen neuen Namen. Über 3.000 Vorschläge seien eingegangen, teilte die Partei im Sommer mit. Leider, leider, hat sie die Vorschläge nie preisgegeben. Obwohl es wahrscheinlich falsch ist anzunehmen, dass zu viel Kreativität am Werk ist. Denn bei Partynamen geht es nicht darum, kreativ zu sein. Kreativität ist sogar schädlich! Der Trick besteht darin, Wörter zu finden, die richtig und spezifisch klingen, ohne jemanden abzuschrecken.
Stellen Sie sich vor, jemand hat sich aufgrund dessen für die BSW entschieden Sahra Wagenknecht und jetzt heißt es, sagen wir mal, „Bündnis für soziale Sicherheit und gegen die Wehrpflicht“. Vielleicht würden unter den BSW-Anhängern genau die wenigen Wehrpflichtbefürworter weglaufen, die eine so kleine Partei braucht. Selbst ein harmloses „Bündnis für Sahnetorte und Weißwurst“ könnte Wähler abschrecken; Kulinarik ist seit langem ein Kampfgebiet und so weiter.
Was stattdessen kursieren sollte, hat Wagenknecht selbst ins Spiel gebracht: „Bündnis für Sicherheit und Wohlstand“. Oder für „soziale Werte“. Oder „Bewegung für Solidarität und Wandel“. In den sogenannten sozialen Netzwerken kamen Spötter allerdings auf die Idee, haha, „Bewahrung der stalinistischen Weltanschauung“ und „Bündnis einer sicheren Wahlniederlage“.
„Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft“ ist die harmloseste und daher gute Wahl.
Was sich nicht ändert, wenn man in den Archiven Folgendes ausgräbt: „Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft schließen sich nicht aus.“ Das soll der frühere FDP-Chef Guido Westerwelle gesagt haben, für den BSW ist er eigentlich der Pate des Neoliberalismus. Erschwerend kommt hinzu, dass der Satz auch eins zu eins auf der Website der CDA, dem Arbeitnehmerflügel der CDU, zu finden ist. Ja, wenn man darüber nachdenkt, Team Wagenknecht, das nicht mehr Team Wagenknecht sein will, hat tatsächlich gerade das ewige Versprechen der sozialen Marktwirtschaft in seinen neuen Namen aufgenommen. Ludwig Erhard gefällt das.
Ha, könnte man schreien, das passt doch nicht alles zusammen! Was bedeuten diese Worte noch, wenn sie in allen politischen Lagern verwendet werden!?
Sie bedeuten nichts mehr. Aber das ist auch keine schlechte Sache. Denn so ist es mit all diesen großen Begriffen: Von der Linkspartei bis zur AfD sind längst alle „demokratisch“, „sozial“ sowieso, und niemand hat etwas gegen zum Beispiel „Freiheit“ oder „Fortschritt“. Und auf die Partei, die sich im Gegensatz zur neuen BSW als Zufluchtsort der „wirtschaftlichen Unvernunft“ bezeichnet, kann man noch lange warten. Solche großen politischen Konzepte sind leblose Hüllen, leerer Signifikantwie schlauere Leute es nennen: Sie vermitteln keine Bedeutung mehr. Politik beginnt jenseits dieser Worte.
Deshalb ist am neuen Namen des BSW nur eines entscheidend: dass er nun gefunden zu sein scheint. Die Umbenennung ist einfach ein weiterer Schritt in der Normalisierung einer Partei, die – und das ist vielleicht der eigentliche Punkt – nur wegen ihrer Abnormalität, wegen ihrer konsequenten Personalisierung des Namens interessant war. Natürlich war das ein Tabubruch, eine Ungehörigkeit in einem Land, das selbst schlechte Erfahrungen mit politischen Personenkulten gemacht hat. Doch die Initialen SW im Namen sorgten zumindest für eine gewisse Klarheit: Hier wussten die Wähler, was sie bekamen, nämlich 100 Prozent Sahra Wagenknecht. Dafür stand ihr Name. Entsprechend straff führte sie den Laden, wenn man von den hartnäckigen Autonomiebestrebungen des Thüringer Landesverbandes absieht.
Jetzt, wo es vorbei ist, besteht die Gefahr für das neue alte BSW nicht darin, dass sich die Leute an seinem neuen, harmlosen Namen stören. Es ist so, dass ihnen nicht mehr wirklich klar ist, worum es bei der ganzen Sache geht.
