In Brandenburg zieht die Partei von Sahra Wagenknecht mit einem starken Ergebnis in den Landtag ein. Besonders das desaströse Abschneiden der Grünen freut den BSW. Nun könnte er auch bei der Regierungsbildung in Potsdam ein Wörtchen mitreden.
Erste Jubelstürme brechen aus, doch von der Wagenknecht-Partei ist noch gar nicht die Rede. Rund 50 Anhänger und Mitglieder des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) versammeln sich am Sonntag im „Gemeindezentrum Zerbice“ in Potsdam-Babelsberg. Ein kleiner Brunnen plätschert, das Fernsehprogramm ruckelt. Und doch ist die gute Nachricht hier deutlich zu hören: Die Grünen schneiden bei der Landtagswahl in Brandenburg katastrophal ab. Jubel im Zelt.
Als wenige Sekunden später die erste Prognose gezeigt wird, klatscht die Menge. Lauter Jubel im Zelt. Brandenburgs Spitzenkandidat Robert Crumbach und Co-Bundesvorsitzende Amira Mohamed Ali umarmen sich strahlend. „Juhuu“, sagt Mohamed Ali.
„Was für ein toller Tag!“, ruft die ehemalige Fraktionschefin der Linkspartei ihren Anhängern von der Bühne zu. Nach dem Europaparlament und den Landtagen in Thüringen und Sachsen zieht der erst im Januar gegründete BSW nun mit einem zweistelligen Ergebnis in den brandenburgischen Landtag ein. „Unglaublich“, sagt Mohamed Ali. „Wir sind hier, um zu bleiben und gemeinsam werden wir dieses Land verändern.“ Mit ihrem Aufruf zum Frieden in der Ukraine treffe die Partei „den Nerv der Zeit“. Von Parteichefin Sahra Wagenknecht sendet Mohamed Ali dagegen nur „ganz, ganz herzliche Grüße und Glückwünsche“ – die Namensgeberin fehlt kurzfristig krankheitsbedingt.
Kurz darauf verlässt Crumbach Bühne und Zelt, überreicht den Blumenstrauß, der ihm gerade an der Bar überreicht worden war. „Ich bin überwältigt“, sagt der 61-jährige Arbeitsrichter. Mit so einem Ergebnis habe er nicht gerechnet, sagt Crumbach. Dabei hatten die Umfragen seit Monaten noch bessere Ergebnisse vorausgesagt – der BSW lag bei bis zu 17 Prozent.
Sieger des Wahlabends war die SPD – Ministerpräsident Dietmar Woidke führte die Sozialdemokraten auf Platz eins, vor der AfD. Im Wahlkampf hatte Woidke gesagt, wenn die rechtsextreme Partei ihn überholen sollte, dann mit Woidke als Ministerpräsident. Crumbach war selbst 40 Jahre in der SPD – und glaubt nicht, dass das Ergebnis seiner ehemaligen Partei repräsentativ für die Zufriedenheit mit Woidkes Partei sei. Der Wahlsieg sei „allein der Fokussierung auf SPD oder AfD geschuldet“, sagte Crumbach im WELT-Interview. „Es ist kein SPD-Ergebnis, sondern in erster Linie ein Anti-AfD-Ergebnis.“ Erste Nachwahlumfragen legen nahe, dass Crumbach damit nicht falsch liegt.
„Wir machen Politik aus einem Guss“
Klar ist: Der BSW ist in Ostdeutschland eine feste Größe geworden und hat sich neben der AfD zu einer prominenten Protestpartei entwickelt. Wagenknechts Partei, die rund 800 Mitglieder zählt, erlebt weiterhin eine Erfolgswelle. In Thüringen und Sachsen ist die Partei sogar im Gespräch über eine Regierungsbeteiligung. In Brandenburg zählt sie rund 40 Mitglieder – die Eintrittshürden sind für die Partei noch immer hoch.
In Sachsen und Thüringen wird derzeit besonders deutlich, wie stark sich die Partei weiterhin auf ihre Namensgeberin konzentriert und von ihr dominiert wird. Dort stellte Wagenknecht im Wahlkampf bereits Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung – keine US-Raketenstationierung in Deutschland und eine Initiative für Frieden in der Ukraine. Sie stellte sich sogar selbst in den Mittelpunkt als erste Ansprechpartnerin für Koalitionsgespräche, noch vor den Landeschefinnen Katja Wolf in Thüringen und Sabine Zimmermann in Sachsen.
Darauf haben sich sogar die Christdemokraten eingelassen: Sowohl Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) als auch Thüringens CDU-Chef Mario Voigt reisten aus Dresden und Erfurt nach Berlin, um mit Wagenknecht zu sprechen. Zimmermann und Wolf führen nun die Verhandlungen – die Entscheidung trifft am Ende aber Wagenknecht.
Ob die Stimme des brandenburgischen Wagenknecht-Verbandes nun etwas unabhängiger werde, wurde Crumbach am Wahlabend im RBB gefragt. „Wir machen Politik aus einem Guss“, antwortete Crumbach – und meinte dies als Argument gegen eine Verengung der Parteilinie auf die Meinung des Chefs. Es sieht jedenfalls so aus, als würde der BSW bei der Regierungsbildung eine Rolle spielen: Die Grünen fliegen aus dem Landtag, SPD und CDU hätten untereinander keine Mehrheit.
Zwar unterscheidet sich der Ton des Arbeitsrichters Crumbach von dem seiner im Populismus schwelgenden Chefin Wagenknecht, doch auch er setzte im Wahlkampf starke Akzente: So betonte Crumbach, notfalls müsse die brandenburgische Landesregierung Verfassungsklage gegen die Krankenhausreformen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einreichen. Mit seiner früheren Partei wäre das wohl nicht möglich.
Crumbach beteuert allerdings immer wieder, er habe gute Kontakte in Regierungskreise und zu seiner ehemaligen Partei – auch wenn er seinen Wahlkampf höchst dilettantisch aus dem eigenen Auto und Büro im Privathaus betrieb. Der 61-Jährige ist keineswegs ein Neuling, wie so viele in seiner Partei – man kann ihn durchaus als Polit-Profi der zweiten Reihe bezeichnen. Crumbach hat Ehrenämter in der SPD bekleidet, war Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, arbeitete in einer Enquete-Kommission und zwei Untersuchungsausschüssen mit, leitete sogar eine Abteilung im Gesundheits- und Sozialministerium. Bis heute redet er gern über Arbeitnehmerrechte – und klingt dabei wie ein Sozialdemokrat.
Im Wahlkampf wurde all das von Wagenknecht überschattet, wie es in der Personenkultpartei BSW üblich ist. Die Parteichefin gilt als Skeptikerin der Regierungsverantwortung und hat Angst, die Wähler frühzeitig durch Kompromisse und Zugeständnisse zu enttäuschen. Mit markigen Attacken der Opposition kann Wagenknecht besser umgehen.
Auch Crumbach versucht, die Erwartungen zu dämpfen, wenn er nach möglichen Koalitionen gefragt wird. „Klar ist: Wir werden nicht um jeden Preis regieren“, sagt der brandenburgische BSW-Spitzenkandidat. „Wir wollen, dass sich etwas ändert – und das kann man auch aus der Opposition heraus erreichen.“ Und genau so wird er am Wahlabend auftreten.
Auf den Marktplätzen von Frankfurt an der Oder, Cottbus und Potsdam wetterte Wagenknecht gegen ihre üblichen Feinde: Grünen-Chefin Ricarda Lang, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die „Hip-City-Bubble“ in Berlin und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den sie als „Inbegriff des Versagens“ bezeichnet. Mit diesem Best-of-Programm tourt die BSW-Chefin seit Monaten über die Marktplätze, von Hamburg über Dresden und Frankfurt am Main bis Saarbrücken. Landesthemen sucht man in ihren Reden allerdings vergebens.
Der Linken droht die Bedeutungslosigkeit
Gelächter und Applaus sind der Ex-Linkspartei stets sicher. Ihre frühere Partei dagegen hat in Brandenburg eine weitere Niederlage einstecken müssen – und fliegt aus dem Landtag. Die Krise der ehemaligen ostdeutschen Volkspartei spitzt sich immer mehr zu. In Sachsen zog die Linkspartei nur dank zweier Direktmandate in den Landtag ein, in Thüringen verlor sie zwar über die Hälfte der Stimmen, holte dank Ministerpräsident Bodo Ramelow aber immerhin noch 13 Prozent der Stimmen. Bundesweit droht ihr die Bedeutungslosigkeit.
„Das ist bitter“, sagte die scheidende Parteichefin Janine Wissler am Abend im Karl-Liebknecht-Haus. Wissler sprach von einer „Zäsur“ für ihre Partei, und das nicht zum ersten Mal. Im November will die Linke auf ihrem Bundesparteitag einen neuen Bundesvorstand wählen und eine Kurskorrektur vornehmen. Die Wähler dagegen sind offensichtlich längst auf die Konkurrenz mit dem früheren Linkspartei-Mitgliedsausweis umgestiegen.
Politischer Redakteur Kevin Culina ist bei WELT verantwortlich für die Berichterstattung über das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Linkspartei.
Zusammenarbeit: Jan Alexander Casper