„Ich hoffe, du hast deinen Pinsel bereit und einen Traum in deinem Herzen.“ Das war einer der typischen Sätze des amerikanischen Malers Bob Ross in seinem legendären TV-Malkurs „The Joy of Painting“. Pinsel, Träume, Herzen: Du könntest den Mann nur in dein Herz lassen – oder ihn mit dem Satz abtun: Wenn Kunst nicht aus Können, sondern aus Verlangen entstünde, würde man sie nicht Kunst, sondern Verlangen heißen. Unsinn! Für Ross entstand Kunst aus dem Menschsein. Picasso, ja, der Vergleich ist etwas verrückt, wenn man es einmal so ähnlich formuliert.
Für Ross war Malen ein Menschenrecht. Er half dabei, es mit Liquid White, Sap Green oder Dark Sienna durchzusetzen. Und mit seinen genialen Tricks etwas Lebendiges und Suggestives zu schaffen. Ein bisschen Kratzen hier, ein bisschen Kratzen da. Unvergesslich: seine sanfte Stimme unter seinem Afro. Nass in nass und in Öl zu meditieren war noch nie so farbenfroh. Und deshalb bleibt er bis heute ein Titan, zumindest in der Welt der Sonntagsmalerei, aber auch in der Welt der Schlaflosen und gestrandeten Partygänger, die ihn in der tiefsten Nacht-Wiederholungssendung entdeckten. Kurz gesagt: in einer liebevollen Welt.
Netflix träumt noch heute davon: 403 Episoden in 31 Staffeln wurden zwischen 1983 und 1994 vom erfolgreichsten, möglicherweise besten, aber sicherlich umfassendsten Tele-Painting-Kurs der Welt ausgestrahlt. Viele fröhliche kleine Bäume und noch mehr fröhliche kleine Wolken bevölkern seit jeher die Welt kunstinteressierter Menschen. Ohne sie wäre sie so viel ärmer und trauriger. Ohne Wolken, Bäume und fröhliche Stimmung. Jetzt versteigert der gemeinnützige Sender American Public Television (APT) 30 Gemälde von Bob Ross, um Geld für angeschlagene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zu sammeln – darunter auch die Sender, die seine Programme von 1983 bis 1994 ermöglichten.
Dies sind Kanäle, die der selbsternannte Kandidat für den Friedensnobelpreis, Donald Trump – ein Systemzerstörer, der eines Tages möglicherweise in Oslo oder Venezuela einmarschiert – gerne abgeschaltet hätte. Er schikaniert sie mit Schnittwunden. Die Pointe könnte so lauten: Wenn in Trumps goldenem Traumanwesen, Mar-a-Lago, ein Ölgemälde aus dem Besitz von Bob Ross über einem Bett hing, das Ludwig II. gehörte. Das wäre nicht völlig absurd. Wir wünschen der Auktion im Auktionshaus Bonhams (die ersten Bilder werden am 11. November in Los Angeles aufgerufen) viel Erfolg. Und das Überleben der Sender.
Irgendwas zwischen „Uriah Heep“ und Caspar David Friedrich
Bob Ross ist zuverlässig, wenn Sie verzweifelt sind. Das Problem der Theodizee – entweder ist Gott angesichts der düsteren Realitäten von Gaza bis zur Ukraine nicht allmächtig, oder ihm liegt nicht unser Wohl am Herzen – wurde von Bob Ross auf seine eigene Weise beantwortet. Jeweils 27 Minuten. Eine Episode, ein Gemälde. Ein Universum aus Wäldern, Seen, Bergen und anderen Naturschönheiten, das manchmal wie eine Synthese zwischen den frühen Plattencovern von wirkt Uriah Heep und die Werke des verstorbenen Caspar David Friedrich.
Alle Gemälde, die Bob Ross im sparsamen, wenn nicht künstlerischen Stil Vincent van Goghs (der zu seinen Lebzeiten auch nicht viel verkaufte) konzipierte, sind Liebeserklärungen an die Welt. „Die Freude am Malen“ war immer: Die Freude an der Liebe. Und so unkommerziell alles begann, am Ende hat sich das Ganze ausgezahlt, wahrscheinlich weil es nie um Geld ging.
Von den rund 400 Gemälden, die Bob Ross geschaffen hat, stand das erste Gemälde, „A Walk in the Woods“, vor zwei Jahren erstmals zum Verkauf. Es kamen fast zehn Millionen Dollar zusammen. Der normalerweise dicke Pinsel hat sich amortisiert. Bob Ross wusste, dass der Kunstmarkt verrückt war. Er hat nicht für ihn gemalt. Seine Währung war Freude. Seine Fans wissen genau das zu schätzen.
Wenn der 1942 in Florida geborene Robert Norman Ross nicht viel zu früh 1995 an einem Non-Hodgkin-Lymphom gestorben wäre: Er würde Sie immer noch mit seiner freundlichen Stimme und dem Satz „a happy little cloud that alive right here“ in den Schlaf wiegen. Es ist der Schlaf der Glücklichen, die eine Welt erschaffen, die im wahrsten Sinne des Wortes schön ist. So kitschig, dass es wieder wahr ist. Mit Bob Ross im Fernsehen und einer großen Leere im Gehirn verwandelt sich alles Triste in Freude. Wer denkt, das sei ein Wunsch, hat nichts verstanden. Weder um Malerei noch um Kunst, weder um Freude noch um das Leben.
Vielleicht noch wichtiger war der Satz in der allerersten Folge, die 1983 ausgestrahlt wurde: „Ich glaube, in jedem einzelnen von uns steckt ein Künstler.“ Joseph Beuys hat es kaum anders formuliert, vielleicht nur etwas anders gemeint: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Nostalgie, soziale Medien und sogar die Coronavirus-Pandemie, die ein enormes Bedürfnis nach Komfort hervorrief, haben in letzter Zeit die Erinnerung an Bob Ross angeheizt. Millionen Follower schauen sich immer noch regelmäßig alte „Joy of Painting“-Folgen an. Mit oder ohne Pinsel in der Hand – und mit dem Traum im Herzen.