Laut, bunt und brandgefährlich: Seit dem Jahreswechsel sind Kugelbomben das Stadtgespräch. Ein inzwischen virales Video aus Schöneberg zeigt die Detonation eines solchen Sprengkörpers. Ein lauter Knall, dann fliegen Trümmer durch die Luft, Glasscherben rieseln auf die Umstehenden. Die Polizei vermeldet erhebliche Schäden an insgesamt sieben Wohnhäusern in Berlin, 36 Wohnungen wurden verwüstet, es gab mehrere Verletzte. Ein Sprecher der Berliner Feuerwehr sprach von einem „Schlachtfeld“.
Über ganz Berlin verteilt wurden fünf Menschen Opfer von Kugelbomben, wie das Unfallkrankenhaus (UKB) mitteilte. Sie wurden schwer an Händen, Gesicht und Augen verletzt, darunter auch Kinder. Andere Betroffene hätten infolge der Explosion dieser Sprengkörper schwere Hörschäden bis hin zu einem dauerhaften Hörverlust erlitten.
„Die Detonation hat ihm den ganzen Hals aufgerissen“
Bereits seit zwei Jahren kommen offenbar vermehrt Opfer von Kugelbomben in das Unfallkrankenhaus. „Dieses Jahr ist es extrem. Diese Bomben sind der Horror“, so UKB-Sprecherin Angela Kijewski. Die Wucht der Explosion sei mitunter so gewaltig, dass das Auge keine Zeit mehr habe, das Lid zu schließen. Daher seien Augenverletzungen durch Kugelbomben häufig. Und weitere Folgen: „Schwerste Weichteilverletzungen, Zerreißungen, Knochenfrakturen“, so Kijewski weiter. „Ein junger Mann hätte dieses Jahr sogar fast deshalb sein Leben verloren, die Detonation hat ihm den ganzen Hals aufgerissen“, so die Sprecherin. „Er hat sich wohl bei der Explosion über die Bombe gebeugt.“
Angesichts dieser Entwicklung und der angerichteten Schäden in der Hauptstadt werden in der Politik bereits Forderungen nach Konsequenzen laut. „Der Import verbotener Feuerwerkskörper – Kugelbomben – aus dem östlichen Ausland muss durch noch schärfere Grenzkontrollen unterbunden werden“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, am Donnerstag. „Diese bereits verbotenen Feuerwerkskörper waren hauptursächlich für die Verletzungen und Sachbeschädigungen.“
Die Grünen im Abgeordnetenhaus sprachen sich sogar für ein generelles, bundesweites Verkaufsverbot für Böller aus. „Sprengstoff gehört in die Hände von Profis und nicht von alkoholisierten Feierwütigen“, sagte der Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco. „Eine ernsthafte Diskussion über ein flächendeckendes Böllerverbot darf kein Tabu mehr sein. Die einzig konsequente Maßnahme ist ein vollständiges Verkaufsverbot für Pyrotechnik.“
Malte Christians/dpa
Dass in Berlin niemand durch Kugelbomben gestorben ist, scheint ein großes Glück zu sein. Anders war das in der Silvesternacht im brandenburgischen Kremmen. Dort verlor ein 21-Jähriger durch die Wucht der Explosion nach dem Zünden einer Kugelbombe in einem Rohr sein Leben.
Doch was macht die Kugelbomben so unberechenbar und gefährlich?
„Das ist professionelles Feuerwerk, das nur von staatlich geprüften Feuerwerkern eingesetzt werden darf“, erklärt Felix Martens, Vorstand des Bundesverbands für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk. Grundsätzlich sei diese, in Fachkreisen Feuerwerkskugeln genannte, Pyrotechnik der Kategorie F4 lizenziert und in Deutschland zugelassen – aber eben nur für Profis. „So etwas gehört unter keinen Umständen in Laienhände“, so Martens.
Die Feuerwerkskugeln selbst bestehen aus zwei Halbschalen aus Pappe, befüllt mit Feuerwerkssternen. Die sollen dann am Himmel ein schönes, bunt funkelndes Bukett erzeugen. In der Mitte befindet sich eine sogenannte Zerlegeladung aus Schwarzpulver, weiß der Experte. Außen ist eine Aufstiegsladung angebracht, ebenfalls ein Säckchen mit Schwarzpulver.
Kugelbomben: Bis zu 1500 Gramm Sprengstoff
Üblicherweise würden in Deutschland Kugelbomben mit einem Durchmesser zwischen 50 und 200 Millimetern verwendet, so Martens. Die Nettoexplosivstoffmasse (NEM), also die gesamte Menge an sprengfähigem Material in einem Feuerwerkskörper, liege je nach Größe zwischen 50 und 1500 Gramm. Zum Vergleich: Ein handelsüblicher, in Deutschland zugelassener „China“-D-Böller enthält 1,5 Gramm Explosivmasse.
Feuerwerkskugeln werden – wenn sachgemäß angewendet – eigentlich mit Rohren in den Himmel geschossen, so Martens. „Mit einer Geschwindigkeit von 100 Metern pro Sekunde steigen sie dann auf eine Höhe von 80 bis 200 Metern.“ Auf der Spitze ihrer Flugbahn zünde dann ein Zeitzünder die Zerlegeladung aus Schwarzpulver und die Sterne. „Ein wunderschönes Bild hoch in der Luft, dramatische Folgen, wenn so etwas durch Laien am Boden gezündet wird, so wie etwa in Schöneberg“, so der Experte weiter. Er tippt darauf, dass hier am Silvesterabend „eine Feuerwerkskugel größeren Kalibers, etwa 100 Millimeter Durchmesser“ eingesetzt wurde. „Die wäre durchaus in der Lage, eine solche Zerstörung am Boden anzurichten.“
Jörg Carstensen/dpa
Die Kugelform ist dabei für die Stärke der Explosion laut Martens irrelevant. Sie diene nur dazu, dass bei der Explosion am Himmel die leuchtenden Sterne gleichmäßig und kugelförmig verteilt werden. „Entscheidend für die Wucht sind NEM, die als Sprengstoff verwendete Substanz und die Verdämmung, also wie die Ladung eingeschlossen ist. Ein Kugelfeuerwerk wäre auch stark genug, eine Stahlhülle zu zerreißen“, so Martens. „Dann wäre auch die Wirkung der Explosion erheblich stärker.“
Statt Schwarzpulver würden Böller in anderen Ländern, etwa Polen, mitunter auch der besonders brisante Blitzknallsprengstoff enthalten, bestehend aus Kaliumperchlorat und Aluminium. Diese Knallkörper zeichnen sich durch einen besonders lauten Knall und höheren Explosionsgeschwindigkeiten aus. „Da reicht schon ein halbes Gramm, um eine Hand zu zerstören.“
Mit den sechs Gramm Schwarzpulver, die etwa in einem in Deutschland zugelassenen und frei verkäuflichen Böller enthalten sind, seien solch schwere Verletzungen undenkbar, so Martens. „Das ist für mich kein Feuerwerk mehr, das sind gefährliche Sprengsätze, die nichts mit den frei verkäuflichen Böllern mehr zu tun haben.“ Auch Kugelbomben mit diesem Sprengstoff gebe es immer wieder, manche auch „Marke Eigenbau“ aus sogenannten Polenböllern zusammengeschüttet.
Kugelbomben haben also eine besonders starke Sprengladung, weil sie nicht dafür gedacht sind, am Boden zu explodieren, sondern in luftigen Höhen. Doch nicht nur das mache sie für nicht ausgebildete Feuerwerker so gefährlich.
„Die Kugelbombe geht sofort nach dem Anzünden los. Das kann tödlich sein“
„Die Zündschnur bei Großfeuerwerk wie diesem ist anders als viele das von Silvesterkrachern kennen“, erklärt der Experte. Erst werde die Steigladung gezündet, dann der Knallsatz. Eingesetzt werde hier meist die sogenannte Gedeckte Stoppine – ein in Schwarzpulver getränkter Baumwollfaden, der durch eine Art Tunnel aus Papier führt. Dadurch könnten sich die Verbrennungsgase sehr schnell ausbreiten – und das Feuerwerk zündet sehr schnell. Für Laien oftmals unerwartet schnell. Die Vermutung liegt nahe, dass dies dem schwer am Hals verletzten Berliner zum Verhängnis wurde, der sich bei der Detonation noch über den Sprengkörper gebeugt hatte.
Henk Hogerzeil/Berliner Zeitung
Bei einem Meter Länge beträgt die Verzögerungszeit einer Gedeckten Stoppine eine Zehntelsekunde, weiß Martens. „Im Grunde geht die Kugelbombe also sofort los, sobald sie sie anzünden. Laien können das nicht wissen. Das kann mitunter tödlich sein.“ Für den Experten ist klar: „So etwas gehört unter keinen Umständen in Laienhände.“
Doch wie kommen die gefährlichen Feuerwerkskugeln in die Hände von Berliner und Brandenburger Privatleuten?
„Es ist ein gravierendes Problem“, sagt Martens. Der Einsatz von illegaler und illegal beschaffter Pyrotechnik nehme zu. Zum Teil kommt diese über die polnische Grenze nach Deutschland. In Polen sind die Feuerwerksgesetze deutlich lascher, das ganze Jahr über darf Pyrotechnik verkauft werden – auch Großfeuerwerk der Klasse F4, zu der auch Kugelbomben gehören. Längst nicht alle Hobbyfeuerwerker können bei der Rückreise von der Polizei gefilzt werden. Ein Umstand, der laut CDU nun geändert werden soll.
Doch noch etwas komme hinzu, sagt Martens: „Kugelbomben lassen sich erschreckend einfach online kaufen. Ein paar Klicks und mit ein wenig Glück ist das Feuerwerk aus dem Ausland in wenigen Tagen bei ihnen.“ Die Polizei habe einfach nicht die Ressourcen, den Onlinehandel zu unterbinden. Ein Feuerwerksverbot würde an der Stelle also keine Wirkung entfalten. „Denn diese Dinge sind ja ohnehin für Privatpersonen schon verboten“, so Martens.