Die Belästigungsvorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar werden für die Berliner Grünen immer mehr zur Belastungsprobe. Nachdem der Anwalt Gelbhaars im rbb erklärt hatte, eine „politisch motivierte Schmutzkampagne von Seiten einiger linker Vertreter der Partei und der Grünen Jugend“ gegen seinen Mandanten sei naheliegend, reagierten dem linken Flügel zugehörige Parteifreunde Gelbhaars am Donnerstag pikiert.
Von einer „Täter-Opfer-Umkehr“, einem „Opfermythos“ und „Größenwahn“ Gelbhaars war in Gesprächen mit dem Tagesspiegel die Rede. Der 48-Jährige verhalte sich „parteischädigend“, erklärte eine Grüne, wollte sich wie alle anderen Gesprächspartner aber nicht namentlich äußern. Auch Gelbhaar selbst war für den Tagesspiegel wiederholt nicht erreichbar.
Anlass für den Schlagabtausch ist ein ausführlicher Beitrag, den Gelbhaar vor dem Hintergrund einer angekündigten rbb-Berichterstattung am Silvestertag auf seiner Homepage veröffentlicht hatte. Unter dem Titel „Zu Falschbehauptungen und Meldungen“ nahm er darin zu Vorwürfen Stellung, er habe in der Vergangenheit mehrfach Frauen sexuell belästigt oder zu Handlungen genötigt, die diese vorher klar abgelehnt hätten.
Das Ziel ist, mich massiv zu diskreditieren, überdies Teile der Partei in Aufruhr zu versetzen und der Partei zu schaden. Das ist schlichtweg kriminell.
Stefan Gelbhaar, Bundestagsabgeordneter aus Pankow, zu den Vorwürfen sexueller Belästigung gegen ihn
„Die Vorwürfe sind gelogen“, erklärte Gelbhaar dazu und ergänzte ebenfalls, es müsse sich „bei diesem Vorgang um eine in Teilen geplante Aktion handeln. Das Ziel ist, mich massiv zu diskreditieren, überdies Teile der Partei in Aufruhr zu versetzen und der Partei zu schaden“, schrieb Gelbhaar und drohte: „Das hat nichts mehr mit Politik oder einer harten Auseinandersetzung zu tun. Das ist schlichtweg kriminell.“
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Mehrere Frauen schilderten angebliche Übergriffe Gelbhaars
Detailliert nahm Gelbhaar darüber hinaus zu einzelnen, bislang unbekannten Vorwürfen gegen seine Person Stellung, mit denen der rbb ihn konfrontiert hatte. So behauptete eine Frau, am Abend des 6. November 2023 wegen eines Schwindelgefühls von Gelbhaar nach Hause begleitet und mit Wasser versorgt worden zu sein. In der Folge sei Gelbhaar – gegen den klar geäußerten Willen der Frau – in der Wohnung verblieben, habe sich neben sie gelegt und ihr gegen ihren Willen Kleidungsstücke ausgezogen.
Im Anschluss habe Gelbhaar sie geküsst, obwohl sie sich körperlich und mit Worten zu wehren versucht habe. Die Frau sei am nächsten Morgen nackt aufgewacht, die Kleidung sei teils gerissen gewesen. Sie vermutet, dass Gelbhaar ihr etwas in ihr Getränk gemischt habe.
„Der Vorwurf ist frei erfunden“, erklärte Gelbhaar und ergänzte, er könne „lückenlos nachweisen“, dass er sich den gesamten Tag und die Nacht des 6. November in Gegenwart anderer befand. Es existiere ein Ton-Mitschnitt der von ihm besuchten Abendveranstaltung, auch der Abschied von der Veranstaltung sei nachweisbar. Zu Hause habe er Nachrichten gelesen und geschrieben, was mit Hilfe „digitaler Dienste“ – wahrscheinlich Messenger – nachweisbar sei.
„Frei erfunden“ ist laut Gelbhaar auch ein anderer Fall. In diesem soll er am 11. Februar 2023 nach einer Parteiveranstaltung die Brust einer Frau „angefasst und geknetet haben“. Die andere Hand soll er auf das Gesäß der Frau gelegt haben. Auch in diesem Fall soll die Frau deutlich gesagt haben, dass sie das nicht möchte, konnte sich der Darstellung zufolge aber schließlich losreißen und weglaufen.
Gelbhaar erklärte, an dem Tag in enger Taktung mit dem Rad an „gut und öffentlich dokumentierten Wahlkampfveranstaltungen“ teilgenommen zu haben. Insgesamt werden von Gelbhaar fünf Fälle aufgelistet, in denen Frauen ihm vorwerfen, sie bedrängt und belästigt zu haben. Er wies die Vorwürfe in sämtlichen Fällen zurück, räumte aber ein, dass sich die Ombudsstelle der Partei bereits vor dem aktuellen Fall zweifach mit Anschuldigungen gegen ihn beschäftigt hatte. Laut rbb sind es sogar drei Fälle. Für den zusätzlichen Fall liege dem Sender eine eidesstattliche Versicherung der Beschwerdeführerin vor.
Grüne wollen externe Meldestelle für sexuelle Belästigung einrichten
Die beiden Landesvorsitzenden der Berliner Grünen, Nina Stahr und Philmon Ghirmai, wollen Betroffenen von sexuellen Übergriffen oder Diskriminierung in der Partei als erste Konsequenz aus dem Fall Gelbhaar künftig ermöglichen, sich an eine externe Meldestelle zu wenden.
„Unser Ziel ist es, dass sich alle Menschen in unserer Partei frei und sicher bewegen können und wohlfühlen“, erklärten beide am Donnerstag. Der vorliegende Fall habe „die Notwendigkeit einer externen Stelle, bei der sich Betroffene melden können, deutlich gemacht“, ergänzten die beiden mit Blick auf die Diskussion um Gelbhaar.
In den kommenden Tagen dürfte die Auseinandersetzung noch an Fahrt aufnehmen. Tagesspiegel-Informationen zufolge plant der Kreisverband Pankow, zu dem Gelbhaar gehört, am Sonnabend eine interne Kandidatenvorstellung für die vom Kreisvorstand neu anberaumte Wahl der oder des Direktkandidaten. Am Montag sollen die Mitglieder des Kreisverbandes die Möglichkeit bekommen, dem oder den Kandidierenden ihre Fragen zu stellen. Am Mittwoch schließlich erfolgt die Neuwahl.
Gelbhaar war Mitte November mit einem Ergebnis von 98,4 Prozent der Stimmen nominiert worden und will erneut kandidieren. Noch ist völlig unklar, ob jemand gegen den seit 2017 im Bundestag sitzenden Verkehrsexperten antritt. Und wenn ja: wer.