Von den Tribünen über das Spielfeld gingen Feindseligkeiten über die Bühne, doch auf dem Spielfeld herrschte Frieden. Nach dem Schlusspfiff riefen die Leverkusener Hardcore-Fans auf der Nordtribüne dem Gästepublikum in der gegenüberliegenden Ecke Beleidigungen zu, die Stuttgarter Fans erwiderten die Beleidigungen. Die schillernde, teils aufgeheizte Atmosphäre, die das Bundesliga-Spitzenspiel zwischen Meister und Vizemeister begleitete, hielt auch nach Spielende an. Von der Verbissenheit, mit der sie das Geschehen bestritten hatten, war von den Mannschaften hingegen nach dem Schlusspfiff nichts mehr zu spüren. Die Spieler aus den unterschiedlichen Lagern schüttelten sich die Hände, standen teilweise lange zusammen und unterhielten sich wie alte Freunde.
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Mit dem 0:0 im Leverkusener Flutlicht konnten beide Mannschaften leben, doch neutrale Zuschauer dürften das Gefühl gehabt haben, betrogen worden zu sein. Bayer gegen VfB, diese Paarung war zuletzt zum heißesten Spiel im deutschen Fußball geworden. In der vergangenen Saison bestritten die beiden Mannschaften drei spannende Spiele in der Bundesliga und im Pokal. Der Supercup zum Auftakt der aktuellen Saison bestätigte, dass Leverkusen gegen Stuttgart für Unterhaltung und Tore sorgte. Das Treffen am Freitag wurde daher als eine Art neuer deutscher Clásico präsentiert. Und dann das: eine Nullnummer, trotz ansprechendem Spiel mit klaren Vorteilen für Bayer.
Bayer und VfB: Nicht mehr im Rausch der Vorsaison
Das 0:0 deutet darauf hin, dass Leverkusens Zeit gegen Stuttgart als attraktivster Termin im Bundesliga-Kalender möglicherweise bereits vorbei ist. Und das aus verständlichen Gründen. Nach der aufregenden Vorsaison ließ die Leistung beider Teams nach. Leverkusen ging mit einer im Vergleich zur Vorsaison schwachen Defensive als Dritter in die Freitagspartie. Stuttgart verlor im Sommer wichtiges Personal an die reichere Konkurrenz aus Dortmund (Waldemar Anton, Serhou Guirassy) und München (Hiroki Ito) und reiste als Achter nach Leverkusen. Aufgrund dieser Ausgangslage hatten beide Teams anderes als Spektakel im Sinn. Leverkusen wollte die fragile Abwehr stabilisieren, Stuttgart wollte nur das Zählbare mitnehmen – beides gelang. „Wir werden uns für den Punkt sicher nicht entschuldigen“, sagte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß.
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Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß war mit der Punkteteilung in Leverkusen einverstanden.
Quelle: Tom Weller/dpa
Leverkusen und Stuttgart finden sich in dieser Saison mit der Mehrfachbelastung aus Bundesliga, Pokal und überhöhter Champions League in einer neuen Realität wieder. Der VfB stellt mittlerweile auch die größte Fraktion der deutschen Nationalmannschaft. Das anspruchsvolle Programm, das für beide Vereine neu ist, spiegelt sich in den Auftritten wider. Anders als in der letzten Saison, als Leverkusen und Stuttgart scheinbar frei spielten, müssen sie nun vorsichtig mit ihren Ressourcen umgehen. Dadurch sinkt die Qualität des direkten Duells.
Auch Leverkusen gegen Stuttgart dürfte wieder an Status verlieren, weil über beiden Klubs in der Nahrungskette des deutschen und internationalen Fußballs größere Klubs stehen. Das musste der VfB im Sommer mit den Abgängen von Anton, Guirassy und Ito zu spüren bekommen. Leverkusen könnte im nächsten Jahr der natürlichen Ordnung zum Opfer fallen, wenn Meistertrainer Xabi Alonso den Verein möglicherweise verlässt. Sein Abgang könnte einen Dominoeffekt auslösen, der den VfB weiter schwächen würde. Angeblich hat Leverkusen Sebastian Hoeneß als möglichen Nachfolger von Alonso ausgewählt.
In der Bundesliga-Tabelle hat sich bereits eine Form der Normalität etabliert. Spitzenreiter ist nach einem Jahr der Schwäche der FC Bayern. Leverkusen und Stuttgart sind wieder in der Verfolgerrolle. Trotz allem bleibt das Duell dieser beiden Vereine interessant. Bei wichtigen Kennzahlen wie Toren, Torschüssen, erwarteten Toren (XG) und Ballbesitz gehören Bayer und der VfB auch in dieser Saison zu den besten Teams der Bundesliga. Die Auslosung am Freitag war spannend, intensiv und stimmungsvoll, auch ohne Tore. Leverkusens Trainer Alonso sagte vor der Begegnung, dass er nach jedem Spiel gegen Stuttgart kaputt sei. Und dieses Mal nach dem 0:0? Alonso lächelte: „Ja, fast kaputt.“
https://www.kn-online.de/sport/bayer-leverkusen-vfb-stuttgart-warum-das-duell-dieses-mal-kein-spektakel-wurde-5LRUZHT5G5CP5AHGP7NHK6N4HM.html