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Barauszahlung von Sozialleistungen: Kein Geld ohne Konto?

Auf den ersten Blick klingt es harmlos. Das geplante Anpassungsgesetz zum Sechsten Sozialgesetzbuch (SGB VI) soll die Sozialverwaltung effizienter, digitaler und unbürokratischer machen. Doch eine Änderung könnte Obdachlosen das Leben besonders schwer machen.

Dem Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums zufolge soll „die Auszahlung von Geldleistungen nach dem SGB VI künftig nur noch in bar auf ein Konto bei einem Kreditinstitut erfolgen“. Das bisherige Recht, Sozialleistungen entweder auf einem Konto oder in bar zu verlangen, entfällt künftig.

Bisher besteht unter anderem die Möglichkeit des sogenannten Zahlungsauftrags zur Verrechnung (ZzV) über die Postbank. Menschen ohne eigenes Konto, die aber Anspruch auf Sozialleistungen haben, können bei der Bundesagentur für Arbeit oder den Jobcentern eine Art Papierscheck erhalten. Das bedeutet, dass Sie sich Ihre Leistungen in den Filialen der Postbank bar auszahlen lassen können. Doch die Postbank wird diesen Prozess zum Jahresende komplett einstellen.

Anspruch auf ein Basiskonto

Dies nimmt die Bundesregierung nun zum Anlass, das Wahlrecht abzuschaffen. Im Gesetzentwurf heißt es: „Die ZzV wird künftig nicht mehr angeboten und ein vergleichbares Produkt ist derzeit nicht auf dem Markt zu finden.“ Menschen, die Sozialleistungen beziehen, „haben in der Regel nur die Möglichkeit einer kostenlosen Überweisung auf das Konto“. Sie können aber auch das Konto einer Person Ihres Vertrauens oder einer gemeinnützigen Organisation angeben.

Darüber hinaus bleibt eine Härtefallregelung bestehen, etwa wenn Betroffene „nach Einzelfallprüfung nachweisen, dass die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut unverschuldet nicht möglich ist“ oder die Auszahlung von Leistungen nicht aufgeschoben werden kann. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung weist zudem darauf hin, dass rechtlich gesehen „alle Verbraucher, die sich rechtmäßig in der Europäischen Union aufhalten, auch solche ohne festen Wohnsitz (…) einen Anspruch auf den Abschluss eines Basiskontovertrags haben“.

Praktiker warnt vor den Folgen

Doch bei einer Anhörung im Bundestag am Montag warnte Martin Kositza von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) vor sozialer Ausgrenzung. Die geplante Änderung werde „den Zugang zu Diensten erschweren“ und stelle eine „zusätzliche Hürde“ für Menschen ohne Account dar, erklärte Kositza, der als Experte eingeladen wurde. Trotz des gesetzlichen Anspruchs auf ein Basiskonto ist die Kontoeröffnung für Betroffene in der Praxis oft nicht möglich. Für manche Menschen ohne Konto ist die Barzahlung die einzige echte Möglichkeit, ihre Sozialleistungen zu erhalten.

Kositza veranschaulichte seine Bedenken anhand einer Fallstudie aus dem wirklichen Leben: Herr S. wurde depressiv, nachdem er sich um seinen Vater gekümmert hatte, und sein Vater starb irgendwann. Herr S. verlor seine Wohnung und wurde obdachlos. Als er seine Fassung wiedererlangte, versuchte er, ein Konto bei einer Bank zu eröffnen. Dies wurde ihm aufgrund von Schulden und fehlender Meldeadresse verweigert – diese Absage erhielt er jedoch nur mündlich. Der Experte Kositza bezweifelt, dass dies künftig ausreichen würde, um den Behörden zu beweisen, dass man kein Verschulden trifft und einen Härtefall geltend zu machen.

Bisher, so der Experte weiter, gebe es verschiedene Möglichkeiten, auch ohne Konto auf Sozialleistungen zuzugreifen. Das ZzV-Verfahren ist nicht die einzige Möglichkeit der Barauszahlung. Herr S. aus der Fallstudie nutzte daher ein Barcode-Verfahren, mit dem er problemlos Geld im Supermarkt abheben konnte. Einige Kommunen arbeiten auch mit Schecks und es besteht die Möglichkeit, das Geld vor Ort bei der Behörde auszuzahlen. Alle diese Varianten sind jedoch nicht im Entwurf des geänderten Gesetzes enthalten.

Ein Viertel ohne Konto

In einer Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe heißt es, dass rund 25 Prozent der Menschen, die sich an sie wenden, über kein Konto verfügen – etwa aufgrund fehlender Ausweisdokumente, technischer Hürden beim Videoidentifizierungsverfahren oder einfach aufgrund fehlender Geräte. Auch unrechtmäßige Ablehnungen von Banken kommen immer wieder vor.

Für Personen ohne Konto müsse weiterhin ein „rechtlich abgesicherter Zugang zu Leistungen zum Lebensunterhalt“ bestehen. „Einen niedrigschwelligen Zugang zu Geldleistungen für diesen Personenkreis kann am besten über Zahlstellen bei einem Sozialamt gewährleistet werden“, heißt es weiter.

Nach offiziellen Angaben erhalten derzeit insgesamt 20.000 Menschen ihre Sozialleistungen per Zahlungsauftrag zur Abrechnung. 2.000 davon haben kein eigenes Konto. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Sylvia Rietenberg hervor. Allerdings dürfte die tatsächliche Zahl noch höher liegen, da der Bundesregierung keine Zahlen der kommunalen Jobcenter vorliegen.

Grüne fordern Änderung

„Wer kein Konto hat, darf nicht durchs Raster fallen“, kritisierte Rietenberg in der taz. „Der Zugang zu Lebensunterhaltsleistungen ist ein Menschenrecht – und kein bürokratisches Privileg für Menschen mit einer Bankkarte.“

Die Grünen-Bundestagsfraktion wird am Mittwoch einen Änderungsantrag einreichen. „Anstatt den Zugang zu Barauszahlungen für besonders gefährdete Gruppen einzuschränken, sollte die Bundesregierung prüfen, wie eine bundesweite, einheitliche, gebührenfreie und rechtsverbindliche Regelung für die Auszahlung von Sozialleistungen an Menschen ohne Konto dauerhaft sichergestellt werden kann“, heißt es.

Das Gesetz soll am Donnerstag in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet werden.

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