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Autoindustrie in der Krise: Kann Stuttgart ein zweites Detroit werden?

Ein Mann steht in Arbeitskleidung in der Kälte und bläst seinen Atem in seine gefalteten Hände. Für mehr Wärme sorgt das Feuer, das in einem Blechfass brennt. Im Hintergrund sieht man durch den Rauch die Ruinen einer Fabrik, in der es für ihn keine Arbeit mehr gibt. Das ist das Bild, das sich die Menschen hierzulande von der amerikanischen Autokrise machen. Und so wird es bald in Stuttgart aussehen? Sogar die sonst so ruhige „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) hält dies nun für möglich und fragt alarmiert: „Ob die reiche Region Stuttgart zu einem deutschen Detroit verkommt?“

Dieser Frage kann man sich musikalisch nähern. Detroit ist das beste Beispiel dafür, dass man sogar hören kann, wie es einigen Städten geht. In den 1960er-Jahren lieferte das lokale Plattenlabel Motown mit dem Soul-Pop von Diana Ross and the Supremes den Soundtrack zum Boom und der Lebenslust in der Metropole im US-Bundesstaat Michigan. Die Detroiter Darkrockerin Alice Cooper vertonte die erste große Krise der Stadt in den 1970er Jahren. Der Rapper Eminem thematisiert den Niedergang, den Verfall und die grassierende Kriminalität in seiner Heimatstadt ab Mitte der 90er Jahre. Den Ton in Detroit gibt stets die Autoindustrie mit den drei großen Herstellern Ford, General Motors und Chrysler an.

Detroits Bevölkerung ist um ein Drittel geschrumpft

In seiner Blütezeit hatte Detroit 1,8 Millionen Einwohner, heute sind es nur noch rund 620.000 – fast genau so viele, wie derzeit in Deutschlands wichtiger Autostadt leben. Und weil Stuttgart derzeit die größte Branchenkrise erlebt, richtet sich der Blick auf Detroit mit seiner hungernden Automobilindustrie. Dort also, wo man schmerzlich erlebt hat, was passiert, wenn man von technischen Veränderungen überrascht wird und woanders günstiger produziert wird.

Das Auto machte Detroit reich, machte es anschließend aber wieder arm – und aufgegeben. Weil die Menschen zur Arbeit gingen, wurde die Stadt der US-Metropole zur Geisterstadt. Die Grenze ist die 8 Mile Road; Es ist wichtig, es in dunklen Zeiten hinter sich zu lassen. „Wer es nicht schafft, ist verloren“, rappt Eminem und stellt dies als Schauspieler im Film „8 Mile“ eindrucksvoll dar.


In Stuttgart hofft man, dass die Sterne für die Stadt weiterhin gut stehen. Foto: dpa

Der City Ring in Stuttgart ist bei weitem nicht die 8 Mile Road in Detroit. Es gibt jedoch Ähnlichkeiten. Fast 250.000 Arbeitsplätze in der Region Stuttgart hängen von der Automobilindustrie ab. Im besten Fall beschäftigten Detroits Hersteller etwa 350.000 Menschen.



Realistischen Prognosen zufolge werden durch die Transformation rund um Stuttgart bis Ende 2030 rund 65.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Bei den Großkonzernen Mercedes, Porsche, Bosch und Mahle wird dieser Stellenabbau in diesem Zeitraum grundsätzlich freiwillig und sozialverträglich erfolgen, da die Belegschaft bis dahin durch Arbeitsplatzsicherungsprogramme weitgehend vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt ist.

Die Zeiten könnten bald schwieriger werden

Doch mit den Betriebsvereinbarungen werden auch die lukrativen Abfindungsrunden in den nächsten Jahren enden. Danach dürften die Zeiten deutlich schwieriger werden, wenn Wirtschaft und Politik keine Antworten auf die existenziellen Fragen der Branche finden. Dann wird das Stuttgarter Lebensgefühl nicht mehr wie längst von den Fantastischen Vier musikalisch reflektiert, sondern von weniger sensiblen Zeitgenossen.

Dennoch bleibt die Frage, ob Detroits Entwicklung von der Hochburg des Automobils bis zum Ruin tatsächlich auf Stuttgart übertragbar ist? Ja, das ist die Antwort des Berliner Soziologen Andreas Knie, der den Untergang der deutschen Autoindustrie vorhersagt. Als das neue Detroit nennt Knie jedoch nicht Stuttgart, sondern Wolfsburg und sagt stattdessen: „Schwaben wird das neue Ruhrgebiet.“ Das klingt allerdings besorgniserregend genug, wenn man bedenkt, wie schwer es den Städten dort immer noch fällt, nach dem Ende des Bergbaus wieder auf Kurs zu kommen.

In Zeiten solcher Krisen erfreuen sich Unkenrufe wie die von Professor Knie großer Beliebtheit. Die These des Mobilitätsforschers lautet: Deutschland ist einfach nicht bereit, sich auf Elektroautos einzulassen. Und das wird brutale Rache sein.

Etwas differenzierter geht Jürgen Dispan vom Stuttgarter IMU-Institut für arbeitsorientierte Forschung und Beratung an das Thema heran. „Detroit ist derzeit ein Warnsignal für die Region“, sagt der Wissenschaftler und erklärt auch, warum der direkte Vergleich zwischen Motor City und Benz Town fehlerhaft ist: „Detroit zeichnete sich durch eine einseitige Struktur aus, während die Region Stuttgart über ein komplettes Wertschöpfungscluster rund ums Automobil verfügt, zu dem auch viele Zulieferer, Entwicklungsdienstleister und Maschinenbauer gehören.“

Jürgen Dispan spricht in diesem Zusammenhang von einer „Problemlösungsregion“, die nun auch in dieser Tradition agieren müsse. Dazu gehört, Produktion und Entwicklung und ihre Fachkräfte nicht auseinanderzureißen, sondern stärker zu vernetzen. Aber eines ist auch klar: Die Uhr lässt sich nicht mehr zurückdrehen; Das softwaredefinierte Elektroauto kommt auf jeden Fall. Die Frage ist nur: Was tun mit dieser Gewissheit und wie können Strategien initiiert werden, um den technologischen und strukturellen Wandel proaktiv zu gestalten?

Nach Ansicht von Stefan Bratzel bleibt nicht mehr viel Zeit, um gegenzusteuern, um nicht in die Detroit-Spur zu geraten. „Wenn wir es nicht schaffen, innovativer zu werden, können wir nicht mehr teuer sein“, sagt der Leiter des Center of Automotive Management (CMA) in Bergisch Gladbach. Die unangenehme Wahrheit ist, dass die Arbeitskosten zu hoch und die Arbeitszeiten zu kurz sind. Was einst ein Problem für die Autoindustrie in Detroit gewesen wäre.

Die Angst der Bürgermeister

Die Detroiter Automanager mussten sich einst mit dem Vorwurf auseinandersetzen, unflexibel und zu langsam zu sein. Trotz der Ölkrise, die 1973 begann, waren sie weiterhin auf große Gasfresser angewiesen. Damals nutzten japanische Hersteller, insbesondere Toyota, dies aus, um günstigere und sparsamere Fahrzeuge auf den US-Markt zu bringen. Dadurch sank der Anteil inländischer Fahrzeuge an den Neuzulassungen schnell von 70 auf 50 Prozent. Und mit Detroit ging es weiter bergab. Im Jahr 2008 erreichte Detroits Arbeitslosenquote mit 25 Prozent ihren Höhepunkt. Die Finanzkrise verschärfte die Situation zusätzlich und zwang die Stadt 2013 zum Bankrott. Ein Schuldenberg von insgesamt 19 Milliarden US-Dollar stellte den größten Kommunalbankrott in der Geschichte der USA dar.

Kein Wunder, dass die Bürgermeister deutscher Autostädte besorgt sind. Vornedran Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper, der im Namen der betroffenen Kommunen staatliche Unterstützung für die Autoindustrie fordert.

Detroiter Teufelskreis

Natürlich gibt es die Angst vor dem Detroiter Teufelskreis. Kaufkraft geht verloren, wenn Arbeitsplätze wegfallen. Eine Stadtflucht beginnt. Geschäfte schließen und im schlimmsten Fall führt der Leerstand in der Innenstadt zu deren Verarmung. Auch weil die Kommune aufgrund fehlender Steuereinnahmen großer Unternehmen dem nicht mehr entgegenwirken konnte. Gleichzeitig gehen wichtige Fördermittel der Wirtschaft für kulturelle und soziale Einrichtungen verloren.

Detroit hat all das hinter sich, die Stadt erholt sich langsam, neue Industrien etablieren sich und Startups werden gegründet. Die geschrumpfte Autoindustrie arbeitet wieder profitabel. Detroit gilt derzeit als kreativ und aufregend.

Und so kommt Donald Trumps Wirtschaftspolitik vielen in Detroit wie eine Rückbesinnung auf alte Zeiten vor, als eine restriktive Zollpolitik dazu führte, dass die Schornsteine ​​der Stadt wieder rauchten und Verbrennerautos gebaut wurden wie vor 50 Jahren.

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