
Am liebsten wäre sie mit ihrem Amtskollegen Wang Yi vor der Presse gestanden. Das tut er aber nur, wenn die Harmonie stimmt – was nicht bedeutet, dass man unbedingt zustimmen muss. Doch die Ansichten chinesischer Politiker und Annalena Baerbock stimmen nicht überein. Offenbar versuchen beide Seiten nicht mehr, eine gemeinsame Basis zu finden. Solche Punkte machte Baerbock jedenfalls nicht kund, sondern beschränkte sich darauf, noch einmal ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Es gehe ihr um den „Schutz deutscher und europäischer Werte und Interessen“, sagte sie gleich zu Beginn ihrer Pressekonferenz im Pekinger Regent Hotel. Deshalb sei sie „bewusst persönlich nach Peking gekommen“, um mit denen zu sprechen, die „zu vielen Dingen unterschiedliche Meinungen haben oder unterschiedliche Rollen einnehmen“.
Sie warb für einen „gerechten Friedensprozess“. Sie warnt Peking offen: „Drohnen aus chinesischen Fabriken und nordkoreanische Truppen, die den Frieden mitten in Europa angreifen, verletzen unsere europäischen Sicherheitsinteressen.“
Chinesische Sanktionspolitik: Baerbock droht mit „Konsequenzen“
Sowohl die Drohnen als auch die Truppen bereiten Deutschland zu Recht große Sorgen. Doch der diplomatische Hebel, den Baerbock nutzen will, um Druck auf Peking auszuüben, funktioniert einfach nicht. Sie wirft Peking eine „Umgehung von Sanktionen“ auf Grundlage des „Völkerrechts“ vor, erwähnt jedoch nicht, dass über 170 von insgesamt 190 Ländern die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützen und es für sie kein UN-Mandat gibt. Dennoch droht sie mit „Konsequenzen“ und betont, dass Peking dann nicht sagen könne, „davon wussten wir nichts.“
Zumindest berührt sie auch ihre eigene Nase. Es gebe auch Unternehmen in Europa, „die da nicht ganz einer Meinung sind“ – vielleicht weil sie nicht genau hingeschaut haben. Sie meint wahrscheinlich die Sanktionsmaßnahmen. Aber man wisse nicht, „ob es Absicht ist oder nicht.“ War das ein Hinweis ihres chinesischen Gesprächspartners, den sie wiederholte?
In jedem Fall wirft sie China in diesem Zusammenhang indirekt einen „Verstoß gegen internationales Recht“ vor. Die Regeln, die sich die Länder als „Weltgemeinschaft“ durch das Völkerrecht gesetzt haben, sind nicht à la carte.
Sie erwähnt auch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, an das sich Peking in Bezug auf die Taiwanstraße halten sollte.
Was sie nicht erwähnt, ist, dass selbst die USA sich immer noch weigern, das Abkommen zu ratifizieren. Gleiches gilt für den UN-Sozialpakt, der sich mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten befasst. Peking wiederum weigert sich, den Zivilpakt zu unterzeichnen, der sich auf bürgerliche und politische Rechte konzentriert.
Kurz gesagt: Leider gibt es in der Weltgemeinschaft ein à la carte. Deshalb wäre es notwendiger denn je, gemeinsam gemeinsame Spielregeln auszuhandeln. Und dafür ist es wichtig zu erkennen, wo man wirklich steht.
Baerbock spricht lieber davon, „endlich im Einklang mit der G7 und unseren vielen pazifischen Partnern“ zu sein – als würden der Westen und der Rest der Welt mit einer Stimme gegenüber China und Russland sprechen. In der jüngsten G20-Erklärung, die auch von der Bundesregierung unterzeichnet wurde, sind Baerbocks politische Vorstellungen jedenfalls kaum zu finden. Dabei lässt sie bewusst außer Acht, dass auch die Brics-Staaten einen völlig anderen Kurs verfolgen als der Westen – wo Indien und China viel näher beieinander liegen als Indien und Deutschland oder Europa.
Aus wirtschaftlicher Sicht sieht Baerbock nun eine Abkopplung als keine gute Idee: „Von Peking über Passau bis Porto wollen die Menschen von Kontakten und wirtschaftlichem Austausch profitieren, also Wohlstand und Wachstum durch eine vernetzte Welt.“ Aber „wir sind nicht naiv“. Der Minister will „Fairplay statt Foulplay“. So weit, ist es gut. Wenn „stark subventionierte Autos auf den europäischen Markt strömen, dann müssen wir darauf reagieren.“ Sie verliert jedoch kein Wort darüber, dass chinesische Autos mittlerweile billiger hergestellt und schneller entwickelt werden. Sie sind vor allem innovativer, weil deutsche Automanager ihre chinesischen Konkurrenten unterschätzt haben und die Bundesregierung die digitale Transformation verpasst hat.
Konflikt um Grünen-Politiker Bütikofer
Auch Baerbock will das Deutsch-Chinesische Dialogforum wieder aufnehmen, vergisst aber, ihren Zustand zu erwähnen: Teilnehmen soll der Grüne Reinhard Bütikofer, den Baerbock zum Co-Vorsitzenden der deutsch-taiwanesischen Dialogplattform für zivilgesellschaftlichen Austausch ernannt hat. Für Peking ist es schwierig, dies mit dem Ein-China-Prinzip zu vereinbaren, das für die Bundesregierung und die meisten Länder der Welt die offizielle Grundlage der Beziehungen zu China darstellt.
Baerbock bezeichnet China immer noch als „Partner, Konkurrenten und Systemrivalen“ – während Olaf Scholz den grünen Dreiklang längst beerdigt hat und von „nachhaltigem gemeinsamem Handeln“ spricht. Auch die deutsche Wirtschaft distanziert sich von Baerbocks Einstufung. Anlässlich des Besuchs des Außenministers veröffentlichte die Deutsche Handelskammer in Peking eine Umfrage, wonach 73 Prozent der Mitgliedsunternehmen eine stärkere Betonung des Partners China wünschen. „Die deutsche Wirtschaft erwartet mehr Unterstützung von der Politik“, sagte der Vorstand der AHK Nordchina, Oliver Oehms.
Gegen Ende der Pressekonferenz betonte Baerbock, wer ihrer Meinung nach hinter ihr steht: die Welt. Die „überwiegende Mehrheit der Staaten auf der Welt, die es als ihre Lebensversicherung betrachten, dass das Völkerrecht, die Charta der Vereinten Nationen, eingehalten wird“. Aber die meisten Länder verstehen darunter etwas anderes als den deutschen Außenminister.
Das zeigt ein Blick in die Abschlusserklärung des jüngsten G20-Gipfels. So sei es. Jedenfalls schauten an diesem Tag alle nach Kiew und fragten sich, was Scholz in seinem silbernen Koffer hatte.