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ARD-Doku „Calmeyers Dilemma“: Moral im Ausnahmezustand

Stand: 20. Oktober 2025 16:25 Uhr

Als „Rassenberater“ der nationalsozialistischen Verwaltung in Den Haag entschied Hans Calmeyer über Leben und Tod. Die ARD-Dokumentation „Calmeyers Dilemma“ beleuchtet den moralischen Konflikt zwischen systemischer Macht und individueller Menschlichkeit.

1940 marschierte Hitler-Deutschland in die Niederlande ein und besetzte sie. Mit den Soldaten kommt ein Heer deutscher Verwaltungsbeamter. Unter ihnen ist Hans Georg Calmeyer, ein junger Anwalt aus Osnabrück. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ist Calmeyer kein überzeugter Nationalsozialist. Zeitzeugen beschreiben ihn in der ARD-Dokumentation „Calmeyers Dilemma“ so: „Er hasste tatsächlich Hitler. Er war sogar pro-jüdisch.“

Hans Georg Calmeyer wird bald für das Schicksal Tausender Juden in den Niederlanden verantwortlich sein. Insbesondere muss Calmeyer entscheiden, wer als Jude gilt und wer nicht – eine Entscheidung, die über Leben und Tod geht.

„De-starring“: Mit juristischen Tricks Leben retten

Viele Juden flohen aus Deutschland in das neutrale Nachbarland, um dem Rassenwahn der Nazis zu entgehen. Aber auch Juden in den Niederlanden müssen nun den gelben Stern tragen. Sie werden systematisch ausgegrenzt und entrechtet. Viele Menschen versuchen daher juristisch nachzuweisen, dass sie überhaupt keine Juden sind. Diese Bewerbungen landen auf dem Schreibtisch von Hans Calmeyer. Und er beginnt, das System von innen heraus auszutricksen.

Hans Calmeyer nennt das, was er jetzt tut, „zerstörerisch“. Er winkt eine Vielzahl von Bewerbungen jüdischer Menschen durch und bestätigt ihnen, dass sie nach dem NS-Gesetz keine Juden seien. Nach dem Krieg schrieb Calmeyer: „Ich habe so vielen wie möglich geholfen.“

Zwei Drittel der bearbeiteten Anträge werden positiv bescheinigt. Die Bekanntmachungen bewahren rund 3.000 jüdische Menschen vor dem sicheren Tod, darunter auch Laureen Nussbaum. „Er hat unter den gegebenen Umständen das Beste getan, was er tun konnte“, sagt sie in der Dokumentation.

Hans Calmeyer – kein strahlender Held

Hans Calmeyer rettete vielen jüdischen Menschen das Leben. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte ihn später als Gerechten unter den Völkern.

Doch auch wenn Calmeyer mit seinem stillen Widerstand viel Gutes erreicht hat, kann Laureen Nussbaum ihn nicht als strahlenden Helden sehen: „So wie Helden im Fernsehen dargestellt werden, als Superman, passte er überhaupt nicht ins Bild.“

Es bleibt auch wahr, dass Calmeyer mit seiner Unterschrift mehr als tausend Menschen als Juden einstufte und sie damit faktisch zum Tode in den Konzentrationslagern verurteilte.

Komplexes Bild ohne einfache Antworten

Hat Hans Calmeyer Menschen gerettet oder nur verschont? Die ARD-Historiendoku „Calmeyers Dilemma“ gibt auf diese Frage keine einfachen Antworten. Im Gegensatz dazu zeichnet es ein komplexes Bild von Hans Calmeyer und zeigt den hochkomplexen Konflikt, in dem er sich befand und aus dem heraus er handelte.

Hans Calmeyer um 1941.

Das Osnabrücker Museum „Villa_“ informiert in einer Dauerausstellung über das Leben und Werk von Hans Calmeyer.

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