Politiker feiern den Rekord bei der Erwerbstätigkeit 2024, dabei setzt sich am Arbeitsmarkt eine tiefe Krise fest. Zentrale Punkte laufen schon länger in die falsche Richtung. Ohne grundlegende Reformen droht jedes weitere Jahr ein verlorenes zu werden.
Terroranschläge in den USA, Amokfahrten und Messerattacken in Deutschland: Medien und Nachrichtenagenturen mussten ihren Lesern im Zuge des Jahreswechsels einiges zumuten. Gut möglich, dass einige Journalisten deshalb weniger genau hinschauten, als dann folgende vermeintliche Erfolgsmeldung über die Ticker lief: Die Erwerbstätigkeit lag im Jahresschnitt 2024 mit 46,1 Millionen auf einem Rekordhoch.
Der Blick ins Detail wäre allerdings nötig gewesen. Denn dort steckt bekanntlich der Teufel. Während bei Lesen und Zuschauern der Eindruck erweckt wurde, immerhin am Arbeitsmarkt sei die Welt noch in Ordnung, fiel unter den Tisch, dass dieser am absoluten Kipppunkt steht. Tatsächlich läuft es unter Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in zentralen Punkten schon länger in die falsche Richtung. Und im neuen Jahr verstärken sich die Negativtrends noch weiter.
Zunächst ist der Zuwachs – neben der erhöhten Frauenerwerbsbeteiligung – vor allem auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Die Erwerbstätigenzahl wuchs 2023 und 2024 leicht um jeweils weniger als ein Prozent. Gleichzeitig stieg die Einwohnerzahl durch Zuwanderung aber deutlich stärker an.
Rein mathematisch gesehen hätte das Plus spürbar kräftiger ausfallen müssen. Der Hintergrund: Deutschland profitiert zwar von der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte, die das Beschäftigungsplus tragen, gleichzeitig aber lebt der überwiegende Teil der Flüchtlinge hierzulande nach wie vor von Sozialleistungen.
Während Arbeitsminister Hubertus Heil und Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) den Rekord bei der Erwerbstätigkeit feiern – „In Deutschland wird so viel gearbeitet wie nie“ – lassen sie eines meist unerwähnt: Zuwächse gibt es ausschließlich noch in den staatsnahen Sektoren. Vor allem der öffentliche Dienst und die Bereiche Pflege und Gesundheit sowie Bildung und Erziehung boomen. Das verarbeitende Gewerbe hingegen hat seit Mitte 2023 fast 100.000 Stellen abgebaut.
Zwei weitere zentrale Kennziffern geben zudem Anlass zur Sorge. Erstens wird pro Kopf weniger gearbeitet. Lag die Wochenarbeitszeit im Jahr 1991 im Schnitt noch bei 38:54 Stunden und Minuten, sind es derzeit 36:32. Und zweitens stagniert in Deutschland seit 2019 die Produktivität. Das Resultat dieser Kombination heißt weniger Wertschöpfung pro Kopf.
Ebenfalls auf Rekordhoch ist die Teilzeitquote mit derzeit 31 Prozent, was ein Grund für die gesunkene Arbeitszeit pro Kopf ist. Und auch die Minijobs boomen. Allein in der Statistik als „erwerbstätig“ aufgeführt zu werden, heißt aber nicht, dass der Lebensunterhalt ohne Sozialleistungen bestritten werden kann. Mehr als 800.000 sogenannte Aufstocker arbeiten zwar, müssen aber zusätzlich Bürgergeld beziehen, weil das Geld nicht ausreicht.
Apropos Bürgergeld: Auch in der Grundsicherung ging es unter der Ampel verlässlich in die falsche Richtung. Sowohl die Zahl der Bürgergeldempfänger als auch die Zahl der Arbeitslosen ist 2024 angestiegen und wird das laut Prognosen auch in diesem Jahr. Die Bürgergeldreform von Arbeitsminister Heil sollte genau das Gegenteil erreichen.
Dazu kommt: Der jetzige Rekord bei der Erwerbstätigkeit wird der letzte gewesen sein. Ab jetzt geht es nach unten. Die Erfolge bei der Arbeitsmigration können die Lücken, die die vielen Renteneintritte reißen, nicht mehr füllen. Dass das Eintrittsalter nicht weiter angehoben wird und sich die Rente nach 45 Beitragsjahren weiterhin extremer Beliebtheit erfreut, beschleunigt die Entwicklung weiter.
Für die Volkswirtschaft ist all das eine Zäsur – und für die Sozialsysteme eine zusätzliche Belastungsprobe. Die Rechnung ist simpel: Weniger Beschäftigte und weniger geleistete Stunden pro Kopf bei gleichzeitig steigender Zahl an Sozialleistungsempfängern bedeuten weniger Steuereinnahmen, weniger Wertschöpfung und damit weniger Wohlstand.
Statt sich für vermeintliche Rekorde zu feiern, muss die Politik hier ansetzen. Jedes weitere Jahr ohne grundlegende Reformen verschlimmert die Lage nur noch.
Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.