Lübeck. Die Schuberts leben seit Monaten auf einer Baustelle. Das Paar wohnt in der Kronsforder Landstraße, wo KWL derzeit eine Autobahnzufahrt für das neue Gewerbegebiet Semiramis baut. Und weil sich Semra und Michael Schubert nicht sicher waren, welche Einschränkungen sie durch die Baumaßnahmen hinnehmen mussten und gegen welche sie möglicherweise gerichtlich vorgehen könnten, suchten sie nach einem Baurechtsspezialisten in Lübeck. Aber so einfach war es nicht.
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„Wir haben Anfang August mit der Suche nach einem Anwalt begonnen. „Es war verzweifelt“, sagt Michael Schubert. „Vier Anwaltskanzleien haben direkt erklärt, dass ein Interessenkonflikt vorliegt, weil sie für KWL arbeiten oder in der Vergangenheit für KWL gearbeitet haben.“
„Anwälte ließen sich verleugnen“
Andere Anwaltskanzleien gingen anders vor. „Manche meldeten sich einfach gar nicht mehr bei mir, obwohl es schon Absprachen gab, dass ich ihnen Unterlagen schicken sollte – aber dann waren sie plötzlich nicht mehr verfügbar“, sagt Schubert. „Selbst bei wiederholten Rückrufen ließen sie sich immer abweisen.“
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Schubert konnte das nicht verstehen. Warum sollten die Anwaltskanzleien plötzlich kein Interesse mehr daran haben, die Schuberts zu vertreten?
![Dietrich Schenke (50) ist Fachanwalt für Baurecht in Flensburg.](https://www.ln-online.de/resizer/v2/WGGP35T56NCDFAHZFLDPEPDGAE.jpg?auth=67a7119587a6fa9b9e6c92ac9b7270c67edc5f67fd31b26fc59f0bf743fe5cf0&quality=70&width=428&height=285&smart=true)
Dietrich Schenke (50) ist Fachanwalt für Baurecht in Flensburg.
Quelle: Julius Demant/hfr
Anwalt für Baurecht aus Flensburg: „Das ist Betrug!“
Dietrich Schenke, Fachanwalt für Baurecht in Flensburg, hat eine mögliche Antwort auf die Frage. „Ich kann die Lage in Lübeck nicht einschätzen. „Aber es ist eine klassische Situation, eine Masche, die ich im ganzen Land oft beobachtet habe: Viele große Mandanten verteilen Mandate an alle Fachanwälte in der Region, damit die Anwälte in anderen Fällen keine Mandate gegen die Mandanten annehmen“, sagt er Schenke.
Diese Praxis nennt sich „Anwälte rausschießen“. „Es ist nicht so, dass sie die Aufträge nicht annehmen dürfen, nur weil sie irgendwann einmal für diese Kunden gearbeitet haben. Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um dieselbe Baustelle oder dasselbe Projekt handelt. Ansonsten ist es grundsätzlich erlaubt“, sagt der 50-Jährige. „Aber natürlich riskieren die Anwälte, dass sie keine Aufträge mehr von der Stadt oder dem Großmandanten erhalten.“
Laut Schenke kann jeder Anwalt bestätigen, dass diese „Betrugsmasche“ von Großmandanten vorliegt.
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KWL bestreitet jegliche Vorwürfe
Allerdings scheint dieses Verfahren bei der Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein wenig bekannt zu sein. „Ich habe es noch nie erlebt, dass ein öffentlicher Auftraggeber oder ein Unternehmen einer Anwaltskanzlei bewusst den Auftrag gegeben hat, Anwälte zu entlassen – ich gehe davon aus, dass das eher die Ausnahme ist“, sagt Jürgen Krüger, Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer. Und: „Mein Fachgebiet ist Familienrecht, im Baurecht ist das vielleicht anders.“
Die KWL, die für die Baustelle an der Kronsforder Landstraße zuständig ist, weist alle Vorwürfe entschieden zurück, Rechtsanwälte seien mit Mandaten betraut worden, so dass Lübecker es schwer hätten, einen Anwalt zu finden. „Wir vergeben Mandate an Rechtsanwälte oder Kanzleien ausschließlich auf der Grundlage ihrer fachlichen Eignung für die zu bearbeitenden Fälle“, sagt KWL-Sprecher Lucas Braun.
Bei Privatpersonen gibt es oft kein „Kein Blumentopf zu gewinnen“
Laut Krüger gibt es noch eine weitere Möglichkeit, warum es den Schuberts schwergefallen sein könnte, einen Anwalt zu finden. „Das Anforderungsempfinden der Kunden hat sich verändert; „Alles muss sehr schnell gehen, auch weil sich die Kommunikationswege verändert haben und viel schneller sind“, sagt Krüger. „Klar, es gibt Dinge, die sofort erledigt werden müssen. Aber für Mandanten ist natürlich der eigene Fall das Wichtigste – und für Anwaltskanzleien ist es manchmal nicht finanzierbar, alles sofort zu erledigen.“
Dietrich Schenke kann sich auch andere Gründe vorstellen, warum Privatpersonen keinen Anwalt finden. „Jeder Anwalt in Lübeck möchte die Hansestadt als Mandanten haben – weil da Musik drin ist, sie sich gut bezahlt macht und Folgeaufträge möglich sind.“ „Das Schubert-Mandat wird dagegen wohl keine Blumen gewinnen“, sagt Schenke.
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Denn man muss sich fragen, was das Paar will und ob man überhaupt helfen kann. „Es ist nicht möglich, den Bau der Straße zu verhindern. Es ist auch nicht möglich, den Umfang der Bauarbeiten zu stoppen. Durch die Vibrationen ist bisher kein Schaden entstanden – und kein Anwalt wird ein Mandat annehmen, nur weil Tante Ernas Tasse zerbrochen ist. Erst wenn das Haus beschädigt wäre, würde es sich lohnen.“
Nach zwei Monaten fanden die Schuberts einen Anwalt
Nach zweimonatiger Suche fanden die Schuberts schließlich einen Anwalt, der bereits in der Vergangenheit gegen die Hansestadt Lübeck gearbeitet hatte. „Bei den Bauarbeiten wurde unter anderem unsere Einfahrt beschädigt“, sagt Schubert. „Jetzt wollen wir nur noch, dass es nach den Bauarbeiten genauso aussieht wie vorher – und dass uns keine Mehrkosten entstehen.“
LN
https://www.ln-online.de/lokales/luebeck/baustellen-aerger-in-luebeck-anwohner-der-kronsforder-landstrasse-suchen-verzweifelt-nach-anwalt-MIQ5GE642FEP5I6N3JJG7LC5WE.html