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Als der russische Aktivist spricht, bricht Lanz fast in Tränen aus

Der Krieg gegen die Ukraine geht unvermindert weiter und die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk steht nun unter schwerem Beschuss. Wie soll die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine aussehen? Das ist nicht die einzige Frage, die am Donnerstagabend bei „Lanz“ diskutiert wird. Die ZDF-Sendung in der TV-Rezension.

Die Gäste

  • Sahra Wagenknecht, BSW-Vorsitzende
  • Carlo Masala, Militärexperte der Universität der Bundeswehr München
  • Maria Aljochina, russische Aktivistin
  • Kerstin Münstermann, Journalistin der „Rheinischen Post“

Lanz und Wagenknecht: Wie zwei Schulkinder

Es ist noch nicht allzu lange her, da war Sahra Wagenknecht noch regelmäßiger Gast in deutschen Talkshows. Nicht zuletzt mit Markus Lanz konnte sich die Linksabtrünnige und BSW-Chefin beim Publikum bekannt machen, was ihr bei der Gründung ihrer Partei wohl nicht geschadet hat.

Doch nun liegt Wagenknecht offensichtlich auf Kriegsfuß mit den „Talkshow-Moderatoren“, wie Lanz und Co. sie nennen. Das zeigt der etwas lächerliche Schlagabtausch, den sich Lanz und der BSW-Chef gleich zu Beginn liefern. Es ist der Beginn einer rundum bemerkenswerten Show.

„Wir haben uns eine Weile nicht gesehen“, begrüßt Lanz Wagenknecht mit süffisantem Unterton. „Herr Lanz, wenn Sie mich nicht einladen, werden Sie mich nicht sehen“, kontert Wagenknecht, immer noch halb im Scherz.

Die letzte Einladung zur Show habe sie zwar abgelehnt, weil sie krank sei, sagt Wagenknecht. „Aber vorher wolltest du mich leider sechs Monate oder neun Monate lang nicht in deiner Show haben, wie in anderen öffentlichen Talkshows.“

„Fühlen Sie sich diskriminiert, wenn es um Talkshow-Auftritte geht?“ fragt Lanz amüsiert. Wagenknecht lacht nicht mehr. Sie vertritt eine These, die sie während des gesamten Studiums begleiten wird: Viele Menschen hätten den berechtigten Eindruck, „dass die Meinungsvielfalt eingeschränkt wird“.

Beim BSW ist das ganz klar: „Wir sind klar ausgeschlossen, weil die Leute unsere Meinung offensichtlich nicht hören wollen.“

„Hast du noch einen, hast du noch einen?“ neckt Lanz, der Wagenknecht nicht ganz ernst nimmt. „Du bringst mich manchmal in Schwung“, neckt er.

Was dann folgt, ähnelt Diskussionen in der Grundschule: Lanz und Wagenknecht bewerfen sich gegenseitig mit Zahlen, die beweisen sollen, dass der BSW in Talkshows unter- oder überrepräsentiert ist.

Russland murrt

Unabhängig von der Frage, wie viel Liste der öffentlich-rechtliche Rundfunk tatsächlich hat, ist Wagenknechts Kritik daran ein wenig sehr holzschnittartig. Dies wird besonders deutlich, wenn es um den russischen Krieg gegen die Ukraine geht.

„Herr Merz sitzt bei Miosga im Fernsehen und lügt“, sagt Wagenknecht. Sie verweist auf die Vermutung der Kanzlerin, dass die kürzlich über Deutschland gesichteten Drohnen aus Russland stammten. Dies sei „teilweise widerlegt“, behauptet Wagenknecht. Der Militärexperte Carlo Masala widerspricht ihr vehement.

Sie sei der Meinung, man dürfe die Deutschen nicht „zur Hysterie überreden“, sagte Wagenknecht. „Aber hier im Hinterkopf brodelt es, dass Russland uns angreift und dass wir uns irgendwann im Krieg mit Russland befinden werden.“

Wie Lanz zu Recht betont, flüstert Wagenknecht selbst viel. Zum Beispiel, wenn Masala sagt, nur Russland verhindere ein Ende des Krieges. Die Russen „haben den Krieg nicht begonnen, um Territorium zu gewinnen“, behauptet Wagenknecht. „Sie haben diesen Krieg begonnen, weil sie keine NATO-Soldaten oder NATO-Raketen an ihrer Grenze haben wollten.“

Gulag statt Meinungsfreiheit

Es gibt viel darüber zu sagen, wie Wagenknecht hier die Fakten verdreht und die Ideologie hinter dem russischen Angriff geschickt ignoriert. Die ebenfalls anwesende russische Aktivistin Maria Aljochina drückte es so aus: „Sie wiederholen fast wörtlich genau das, was Sie von den Propagandasendern in Russland hören“, wirft sie Wagenknecht vor.

Aljochina hat selbst erlebt, wozu es führen kann, in Russland seine Meinung zu sagen. Die Aktivistin war Teil des russischen Performance-Kollektivs „Pussy Riot“, das 2012 mit dem „Punk Prayer“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale weltweite Bekanntheit erlangte.

Maria Alyokhina, von Pussy Riot (Archivbild).

© dpa/Matthias Balk

Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gelang ihr im Jahr 2022 eine spektakuläre Flucht aus Russland. In der Sendung erzählt sie von ihren Erlebnissen in einem russischen Gefangenenlager, in dem sie zwei Jahre lang inhaftiert war. Dieses Lagersystem unterscheide sich kaum vom Gulag in der Sowjetunion, sagt Aljochina.

Bis zu hundert Menschen würden in Baracken zusammenleben; Es gab kaum Toiletten und kein fließendes Wasser. Der Aktivist bezeichnet den wochenlangen Transport in die Lagerhaftanstalt als „eine Foltermethode“.

Lanz möchte von Aljochina wissen, ob sie sich angesichts des langen Arms des russischen Regimes in Europa sicher fühle. „Ich habe nie nach Sicherheit gesucht“, sagt sie.

Plötzlich wird Lanz emotional

Mitten im Gespräch zwischen Alyochina und Lanz ereignet sich der wohl denkwürdigste Moment des Abends. Die Kamera schwenkt auf Lanz und der Moderator beginnt mit der nächsten Frage. Plötzlich stockt seine Stimme. Er holt tief Luft, starrt auf seine Moderationskarten, dann wandert sein Blick durch den Raum.

Lanz schweigt. Dem sonst gesprächigen Moderator fehlen die Worte.

Nach zehn langen Sekunden, in denen im Studio kein einziger Ton zu hören ist, scheint sich der Moderator gefasst zu haben. „Das berührt mich gerade wirklich“, sagt er fast zu Tränen gerührt zu Aljochina.

2018 traf er in St. Petersburg junge russische Regimegegner, „die genau wie Sie waren“, sagt der sichtlich berührte Lanz. „Ich frage mich oft: Was ist mit den Leuten passiert, die wir damals interviewt haben? Ich habe keine Ahnung.“

Wagenknecht zieht groteske Parallelen

Wagenknecht scheint von Aljochinas Schilderungen weniger betroffen gewesen zu sein. „Das ist natürlich schrecklich“, sagt sie, nachdem die Aktivistin ihre Erfahrungen in russischer Haft schildert. Im gleichen Atemzug wendet sich der BSW-Chef dann aber von Russland ab, zurück ins Allgemeine, ja Groteske.

Es gebe viele Länder, in denen sie nicht leben möchte, sagt die BSW-Chefin. Gerade deshalb müssen wir „alles dafür tun, dass Demokratie und Freiheit in unserem Land erhalten bleiben und wir nicht immer repressiver werden.“ Auch?

„Ich beobachte mit großer Sorge, dass auch hier der Druck und die Einschüchterung zunimmt und es zu Hausdurchsuchungen kommt, wenn jemand einen falschen Beitrag schreibt“, erklärt der BSW-Chef. Sie beklagt einen „Trend, der gefährlich ist“: Ein „großer Teil der Bevölkerung“ traue sich nicht mehr, seine Meinung zu äußern.

„Natürlich kommt man nicht ins Lager, aber man hat berufliche Nachteile und kann seine Karriere verspielen“, sagt Wagenknecht. „Das sind keine russischen Verhältnisse, ich möchte sie überhaupt nicht vergleichen“, beteuert sie – und tut es doch.

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