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Aldi Süd baut keine Wohnungen in Köln-Ehrenfeld

Vor rund drei Jahren war Tim Reichenau seinem Ziel nahe: Mit rund 60 Mitgliedern des Mehrgenerationenprojekts „Unter einem Dach“ hatte Reichenau nach neunjähriger Suche endlich ein Zuhause für die Zukunft gefunden. Der Verein wollte einen Teil der geplanten Neubauwohnungen über dem Aldi-Discounter am Grünen Weg in Ehrenfeld beziehen.

Fast ein Jahrzehnt lang war die Gruppe aus jungen und alten Menschen auf der Suche nach einem Ort, an dem sie zusammenleben und sich gegenseitig um die Kinder kümmern konnten, einschließlich der Pflege. Am Ende schlossen sie mit Aldi Süd eine Absichtserklärung für die sogenannten „Green Yards“. Auf dem einstöckigen Aldi und dem Parkplatz sollten 80 bis 100 Wohnungen entstehen, auch für „Under One Roof“.

Das war im September 2022: Aldi stellte in Ehrenfeld am Grünen Weg sein erstes geplantes Wohnbauprojekt in Köln vor. Aldi will sein erstes Wohnbauprojekt in Köln umsetzen. Im Bild (von links nach rechts): Projektentwicklerin Angelika Ingendaay, Björn Just (aldi Süd) sowie Sabine Baur und Tim Reichenau vom Mehrgenerationenverein.

Aber jetzt ist klar: Das wird vorerst nicht funktionieren. Tim Reichenau sagt: „Die Entwicklung mit Aldi war für unser Wohnprojekt sehr enttäuschend.“ Ihm zufolge liegt das Projekt „aus wirtschaftlichen Gründen auf Eis und es ist völlig unklar, wann es wieder aufgenommen wird.“

Aldi Süd bestätigte dies auf Nachfrage: „Im Zuge der Entwicklung der ‚Green Farms‘ hat sich die Marktsituation, einschließlich der insgesamt deutlich gestiegenen Baukosten, so stark verändert, dass eine Umsetzung in der ursprünglich geplanten Form – trotz bereits vorgenommener Anpassungen – derzeit nicht möglich ist.“

Viel Platz: Aldi Süd am Grünen Weg von oben fotografiert.

Viel Platz: Aldi Süd am Grünen Weg von oben fotografiert.

Um welche Anpassungen es sich handelte, gab Aldi Süd auf Nachfrage keine Auskunft. Vor drei Jahren war noch von insektenfreundlichen Gründächern, Solaranlagen, Spielflächen auf dem Dach, einer Kindertagesstätte und einem Café und eventuell einem schallisolierten Proberaum für Musiker die Rede. Es soll ein Pilotprojekt für Köln werden.

Wann und wie die „Green Farms“ realisiert werden können, kann das Unternehmen nach eigener Aussage nicht sagen. Es wäre das erste dieser Projekte von Aldi Süd – und anderen Unternehmen – in Köln gewesen, bei dem Unternehmen eine bisher einstöckige Filiale samt Parkplatz mit anderen Nutzungen zusammenlegen und erweitern. In Wesseling beispielsweise hat Aldi Süd 2023 ein neues Haus mit Wohnungen auf dem Filialparkplatz fertiggestellt.

Wohnungsbau in der Krise

Der vorläufige Baustopp ist ein Beispiel für zwei Probleme in Köln: Erstens werden in Köln derzeit viel zu wenige Wohnungen gebaut. Im vergangenen Jahr wurden lediglich 1.819 neue Wohnungen fertiggestellt, zuletzt waren es 1990 weniger. Der Wohnungsbau steckt nicht nur in Köln in der Krise.

Und zweitens: Einige Projektentwickler stoppen oder stornieren ihre Wohnungsbauprojekte, was den Wohnungsneubau zusätzlich schwächt. Zuletzt zogen sich die Projektentwickler zurück, die das Kölner Brautraditionshaus in Mülheim und die ehemalige RWE-Zentrale in Lindenthal sanieren wollten. Das bedeutet das Ende von insgesamt 622 Wohnungen, davon 187 mit vergleichsweise niedrigen Mieten (wir berichteten).

Flächenknappheit als Problem in Köln

Obwohl es in Köln viele Supermärkte gibt, in denen Menschen wohnen, mieten die Unternehmen in diesen Fällen meist Flächen im Erdgeschoss von mehrstöckigen Gebäuden an. Es geht aber konkret um die einstöckigen Märkte auf Freiflächen mit großen Parkplätzen, die viel Platz beanspruchen.

Stadtplanungsprofessorin Yasemin Utku, die an der Technischen Universität Köln lehrt, sagte dieser Zeitung im vergangenen Jahr: „Es gibt kaum noch Baugenehmigungen für einstöckige Gebäude, insbesondere nicht in zentralen Lagen von Großstädten wie Köln.“

Aldi-Vertreter: „Keine Zeit mehr“

Am Grünen Weg etwa sind nur 20 Prozent des Aldi-Grundstücks bebaut, der größte Teil ist der 1996 erbaute eingeschossige Aldi-Markt, fast der gesamte Rest ist für 122 Parkplätze vorgesehen – und das in einer Stadt, in der kaum etwas so begehrt ist wie Fläche.

Björn Just, der für Aldi Süd Immobilien in Köln betreut, sagte 2022: „Das Konzept mit dem hohen Versiegelungsgrad und der monofunktionalen Nutzung ist völlig veraltet. Wir haben die Fläche bisher nicht sparsam genutzt.“ Ein Stadtsprecher unterstützt dies: „Einstöckige Supermärkte mit Stellplätzen erfüllen nicht die Anforderungen an eine sparsame Flächennutzung und eine nachhaltige Stadtentwicklung.“

Der Aldi-Markt am Niehler Kirchweg in Nippes. Die Wohnungen sind seitlich oberhalb des Lagers gebaut.

Eine Studie der Technischen Universität Darmstadt sah bundesweit ein Potenzial von 400.000 Wohnungen. Und vor fünf Jahren prüfte die Stadt Köln, ob die Supermarktflächen in Köln besser genutzt werden könnten, etwa durch den Bau über den Märkten. Von 300 Standorten kamen 63 in Betracht, das ist aber eine theoretische Größe, denn nicht jeder Eigentümer möchte tatsächlich Wohnungen bauen.

Nach Angaben der Verwaltung liegen hierzu keine neueren Zahlen vor. Ein Sprecher sagte: „Die Stadt bewertet weiterhin strukturell untergenutzte Lebensmittelmarktstandorte, insbesondere in integrierten und gut angebundenen Lagen, als potenzielle Flächen für die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum.“

Aldi Süd will am Niehler Kirchweg groß bauen

Aldi Süd hält nach eigener Aussage an den gemischt genutzten Projekten auf einem Grundstück in Köln fest. Vier weitere sind geplant, nämlich im Bilderstöckchen, Porz, in der Innenstadt an der Gürzenichstraße und am Niehler Kirchweg in Nippes. Insgesamt plant das Unternehmen rund 200 Wohnungen, die Anzahl steht jedoch noch nicht fest, da sich die Projekte in unterschiedlichen Planungsstadien befinden.

In der Aldi-Filiale am Niehler Kirchweg gibt es bereits 20 Wohnungen, allerdings seitlich über der Lagerhalle und nicht über die gesamte Dachfläche. Aldi Süd plant dort derzeit ein Wohnhochhaus mit rund 80 Wohnungen, eine Visualisierung zeigt die deutliche Veränderung gegenüber heute.

Großes Wohnhochhaus am Niehler Kirchweg in Nippes.

Die Stadt bestätigt die Pläne: Demnach liegt ein Voruntersuchungsantrag zur planungsrechtlichen Klärung bei anteiliger Gewerbenutzung vor. Aber es gibt immer noch kein Ergebnis.

Für Tim Reichenau und seinen Traum, mit seinen Vereinskollegen in einem Haus zu wohnen, hat es Konsequenzen, dass Aldi Süd das Projekt in Ehrenfeld vorerst nicht weiterverfolgt, obwohl die Absichtserklärung noch besteht.

Reichenau sagt: „Dadurch fielen wir aus der Liste der Projekte heraus, die beispielsweise bei der GAG nach Umsetzungsmöglichkeiten suchten, so dass dort andere Projekte Vorrang hatten.“ Die Suche beginnt also wieder von vorne.


Das Retail-Konzept

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Unternehmen in ihren Märkten Wohnungen bauen wollen: das Einzelhandels- und Centerkonzept der Stadt. Darin ist festgelegt, dass es verboten ist, die Verkaufsfläche bestehender Märkte im Umkreis von 700 Metern um wichtige Versorgungswege zu erweitern. So soll der Einzelhandel geschützt werden.

Nach Angaben der Stadt hoffen Unternehmen wie Aldi, dass dies möglich ist, wenn sie die Wohnungen bauen. Ein Sprecher bestätigt eine Einschätzung aus dem Jahr 2020: „Aus dem Gesprächsverlauf hat sich ergeben, dass die Betreiber der Lebensmittelmärkte die Wohnnutzung vorrangig umsetzen möchten, um an diesen Standorten bisher nicht erlaubte Großbetriebe errichten zu können.“

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