Als vor ziemlich genau 52 Jahren das erste Flugzeug des europäischen Flugzeugherstellers Airbus in Toulouse startete, stand der zehnjährige Christian Scherer auf dem Dach des Terminalgebäudes. Sein Vater Günter war als Flugversuchsingenieur an Bord. Anschließend machte Scherer Jr. seine eigene Karriere bei dem Unternehmen, dessen wichtigster Geschäftsbereich, die Zivilflugzeuge (gleichzeitig größter Gewinnbringer), er seit Jahresbeginn leitet.
Doch nun verabschiedet sich Scherer, der sich wahrscheinlich kaum mehr interessiert als Airbus, überraschend früh von dem Unternehmen, das er liebt. Denn Airbus kündigte an, spätestens Anfang 2026 den bisherigen Chef des DAX-Konzerns MTU Aero Engines, Lars Wagner, in den Vorstand zu holen, er solle dort auch Scherers Aufgaben übernehmen. Der 49-jährige Wagner hatte dem Münchner Triebwerkshersteller und Airbus-Lieferanten mitgeteilt, dass er seinen Vertrag nicht verlängern werde – obwohl er seinen jetzigen Job erst seit Anfang 2023 innehatte. Der MTU-Aufsichtsrat kündigte an, man werde prüfen kurzfristig einen Nachfolger suchen.
Es ist eine spektakuläre Veränderung, die einer Erklärung bedarf. Die zivile Flugzeugsparte von Airbus boomt bei den Bestellungen und hat den in der Krise steckenden Konkurrenten Boeing inzwischen weit hinter sich gelassen. Doch produktionsseitig läuft es alles andere als reibungslos – der angestrebte Produktionshochlauf musste mehrfach verschoben werden und derzeit gibt es massive Probleme mit Zulieferern. Es tauchen immer wieder neue Probleme auf. „Die Auslieferungen wurden stärker zurückgedrängt, als wir gedacht hatten“, gab Airbus-Chef Guillaume Faury am Mittwochabend zu. Von Januar bis September übergab Airbus 497 Verkehrsflugzeuge an Kunden, neun mehr als vor einem Jahr. Bis Ende des Jahres sollen es 770 sein, doch vor allem Motoren sind Mangelware.
Er sei „eine logische Wahl“ als sein Nachfolger, sagt der Vorgänger
Doch Faury stellt klar, dass die Neubesetzung „absolut nichts damit zu tun hat, dass Christian seinen Job nicht macht“. Er und Scherer hatten schon lange mit Wagner gesprochen und es ergab sich nun die Gelegenheit, ihn hinzuzuziehen. Sonst hätte Wagner seinen Vertrag bei MTU wohl verlängert. Wie Faury selbst bei Airbus auch, muss der entsprechende Vorschlag des Vorstands für eine dritte Amtszeit des Franzosen bei der nächsten Hauptversammlung noch von den Aktionären formal genehmigt werden. Scherer selbst sagt, er habe die Nominierung Wagners, den er schon lange kennt, sehr begrüßt. Als sein Nachfolger sei er „eine logische Wahl“. Den Airbus-Plänen zufolge wird Scherer Wagner zunächst eine Zeit lang ausbilden; Details zur Übergangsphase stehen noch nicht fest. Es gibt Leute bei Airbus, die glauben, dass Scherer nach so vielen Jahren im Top-Management und unzähligen Stunden im Flugzeug, insbesondere während seiner Zeit als (sehr erfolgreicher) Vertriebsleiter, mit 64 Jahren in den Ruhestand gehen würde.
Wagners Profil passt perfekt zur Stelle. Er ist noch recht jung für die Position und blickt auf eine lange Vergangenheit bei Airbus zurück – er wechselte erst 2015 nach 20 Jahren bei Airbus zur MTU. Anders als der Betriebswirt Scherer ist er Luft- und Raumfahrtingenieur und wie er Deutscher – was bei der inzwischen eher informellen Rollenverteilung zwischen Deutschland und Frankreich bei Airbus auf dieser Hierarchieebene wichtig ist. Wagner ist Produktionsspezialist und Ingenieur durch und durch. Er gilt seit langem als aufstrebender Star der Branche; Der Job bei der MTU in der zweiten Reihe war für ihn ein guter Ausgangspunkt.
Allerdings wartet auf Wagner bei Airbus ein harter Job. Er muss das geplante Wachstum bewältigen. Bis 2027 will Airbus 75 Maschinen haben A320neo– Die Serie wird monatlich gebaut, in den ersten neun Monaten 2024 waren es durchschnittlich 44. Die Produktion des Langstreckenjets A350 Bis 2028 soll sich das der kleineren verdreifachen A220 ebenfalls, allerdings bis 2026. Zu Wagners Aufgaben gehört auch die Nachfolgegeneration des A320neo sich auf den Weg machen. Airbus hat für die zweite Hälfte der 2030er Jahre ein völlig neues Kurz- und Mittelstreckenflugzeug angekündigt. Allerdings ist es nun wahrscheinlicher, dass dies am Ende des nächsten Jahrzehnts geschieht; Airbus ist zu sehr mit den aktuellen Problemen beschäftigt und der Auftragsbestand ist riesig, selbst für die heutigen Modelle.
Wagners Erfahrung in der Triebwerksindustrie wird ihm bei der Entwicklung eines neuen Flugzeugs helfen; Denn der Erfolg eines solchen Projekts hängt maßgeblich von neuen Motoren ab. Wenn die Industrie und Airbus ihrem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu fliegen, auch nur annähernd näherkommen wollen, ist dies dringend erforderlich. MTU ist Teil des Konsortiums um Pratt & Whitney, das Triebwerke für die USA herstellt A320neo liefert. Allerdings gehören Pratt und der Konkurrent CFM International (GE Aerospace und Safran) derzeit zu den Zulieferern, die Airbus die größten Probleme bereiten. Da die neuen Pratt-Triebwerke nicht annähernd so lange halten wie die bisherigen Triebwerke, warten weltweit Hunderte von Airbus-Jets am Boden auf Ersatzteile. Gleichzeitig benötigt Airbus für die vielen neuen Maschinen, die aus den Endmontagehallen in Toulouse, Hamburg, Mobile und Tianjin rollen, viele Triebwerke, und es ist nicht genug für alle da.
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