Die Taliban kontrollieren seit fast einem Monat alle diplomatischen Vertretungen Afghanistans in Deutschland. Viele Exil-Afghanen sind entsetzt, einige suchen aber auch den Kontakt zu den radikalen Islamisten.
Er ist ein höflicher Mensch, hat Sinn für Humor und empfängt gerne Besucher. Das sagt jemand, der ihn kennt, über den „Neuen“ im afghanischen Generalkonsulat in Bonn. Unter den radikalen Islamisten sei er eher ein Gemäßigter: Sagte Mustafa Hashimi, einer der beiden Konsularbeamten aus Kabul, die die Bundesregierung vor einigen Wochen akkreditiert hat.
Hashimi ist kein einfacher Beamter, er ist mittlerweile faktisch Chef des Generalkonsulats – und damit der erste Taliban, der eine afghanische diplomatische Vertretung in Deutschland leitet.
Er wird nun mit „Mr. Generalkonsul“ angesprochen und begrüßt Sie auch auf der neuen Website des Konsulats als solcher. Er betonte, dass es für ihn eine Ehre sei, „als Generalkonsul Afghanistans in Bonn tätig zu sein“. Hashimi kleidet sich traditionell mit der Shalwa, einer weiten Hose, dem Kameez, einem langen, weiten Oberteil und dem typischen Taliban-Turban mit einem schwarz-weiß gemusterten Schal.
Einige Afghanen suchen Kontakt
Es gibt Exil-Afghanen, die entsetzt darüber sind, dass nun ein Taliban in Bonn residiert. Aber es gibt auch andere, die den Kontakt zu ihm suchen. Auch wenn das Generalkonsulat voraussichtlich erst in wenigen Tagen wieder öffnen wird, kommen bereits täglich zahlreiche Besucher.
Ein auf der Plattform TikTok verbreitetes Foto zeigt Hashimi in seinem Bonner Büro mit einer Gruppe Afghanen, die mit dem Essen verwöhnt wurden, mit dem Afghanen verwöhnt werden: mit grünem Tee, Süßigkeiten und Nüssen. Nach ARD-Informationen stammen aus dem Raum Köln/Bonn. Dabei handelt es sich in erster Linie um Paschtunen, also Angehörige der Volksgruppe in Afghanistan, zu der auch die Taliban gehören.
Anfang Oktober verließen der bisherige Generalkonsul Hamid Nangialay Kabiri und seine 22 Mitarbeiter das Gebäude im Bonner Stadtteil Ückesdorf. Es soll zunächst ein Protest gegen die Akkreditierung zweier Taliban-Diplomaten durch die Bundesregierung gewesen sein. Aber ARD-Recherchen ergaben: Das Auswärtige Amt hatte die von der Vorgängerregierung Afghanistans übersandte sogenannte Protokollkarte des Generalkonsuls nicht verlängert.
Ihm blieb daher nichts anderes übrig, als auszureisen – die offizielle Karte des Auswärtigen Amtes ist seine Akkreditierung in Deutschland und seine Aufenthaltserlaubnis. Das Auswärtige Amt wollte sich dazu nicht äußern.
Normaler Betrieb?
Nur zwei Tage später übernahm der Neue aus Kabul. Seitdem wird nach Angaben des Konsulats hart daran gearbeitet, den normalen Betrieb wieder aufzunehmen.
Auf der neuen Website heißt es, man wolle „exzellente Dienstleistungen“ anbieten: „Unser Team setzt sich dafür ein, afghanische Staatsangehörige zu unterstützen und die bilaterale Zusammenarbeit in allen Bereichen zu fördern.“
Tatsächlich gab es viel zu tun: Zuerst funktionierte die Heizung nicht, es gab Probleme mit dem Wasser, und dann musste das Computernetzwerk wieder in Betrieb gehen.
Angst bei Regimegegnern
Regimegegner befürchten, dass die Taliban bald Zugriff auf die zentrale Datenbank erhalten, in der Zehntausende Passanträge, Heirats- und Geburtsurkunden sowie andere sensible Daten von Afghanen in Deutschland und anderen Ländern gespeichert sind.
Das Generalkonsulat in Bonn diente bisher als Drehscheibe für die IT-Systeme der afghanischen Botschaften und Konsulate in Europa, Kanada und Australien. Viele Betroffene befürchten, dass diese Daten in den Händen der Taliban ihnen oder ihren Familien in Afghanistan schaden könnten.
Alle Vertretungen werden von Taliban kontrolliert
Mit der jüngsten Änderung in Bonn werden nun alle afghanischen Vertretungen in Deutschland von den Taliban kontrolliert. Der ehemalige Generalkonsul Kabiri sei der „letzte Mann, der noch übrig sei“, sagte ein hochrangiger afghanischer Diplomat und Taliban-Kritiker gegenüber Dem ARDStudio Neu-Delhi.
Der afghanische Generalkonsul in München hingegen kooperiert seit langem offen mit Kabul. In einem vertraulichen Dokument wird er bereits als „Generalkonsul des Islamischen Emirats Afghanistan“ bezeichnet, wie die Taliban ihren Staat nennen. Und auch die afghanische Botschaft in Berlin ist den neuen Herren in Afghanistan seit fast einem Jahr wohlgesonnen. Damals musste der bisherige Botschafter Yama Yari, ein erklärter Gegner der Taliban, gehen.
Tatsächlich konnten die radikalen Islamisten in Deutschland letztendlich überall Fuß fassen, weil die Bundesregierung ihnen viel Hilfe zukommen ließ.
Für viele Afghanen ein Problem
Das gab das Auswärtige Amt kürzlich bekannt ARD-Anfrage, die Bundesregierung habe weiterhin ein Interesse daran, dass die afghanischen Missionen „von Personen geleitet werden, die bereits vor der Machtübernahme der Taliban akkreditiert waren“.
Das deutsche Außenministerium hatte im Frühjahr die Überstellung eines Taliban-freundlichen Afghanen von München nach Bonn verhindert. Das geht aus einem vertraulichen Brief des Auswärtigen Amtes an die afghanische Botschaft vom März dieses Jahres hervor ARD-Studio New Delhi konnte sehen. Der Münchner sollte damals offenbar das Bonner Generalkonsulat des Taliban-Gegners Kabiri auf Linie bringen.
Was im Frühjahr scheiterte, gelang den radikalen Islamisten vor vier Wochen endlich. Das Ministerium in Kabul forderte die Absetzung von Generalkonsul Kabiri, das Auswärtige Amt kam dieser Bitte nach. Obwohl die Bundesregierung das Taliban-Regime immer noch nicht anerkennt, sieht das Auswärtige Amt solche Rückrufe Kabuls als „rechtsverbindlich“ an, heißt es in der Antwort auf eine Stellungnahme ARD-Anfrage.
Dass es in Deutschland keine afghanische Mission mehr gibt, die von Taliban-Gegnern geleitet wird, ist für viele in Deutschland lebende Afghanen ein Problem.
Für die in der Nähe von Frankfurt lebende Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Masiha Fayez ist der Gang zu einem Konsulat, in dem ein Taliban sitzt, kaum vorstellbar. „Wie können wir mit diesem grausamen Regime reden? Oder mit dieser Person, die es vertritt?“ sagt sie fassungslos. „Wir sind von ihnen traumatisiert. Und das traumatisiert uns erneut.“
 
			 
					
