
Bundesverfassungsgericht entscheidet über Klagen der Ultrarechten gegen den Bundestag.
Nimmt die AfD wieder einmal die mittlerweile bekannte Opferrolle ein oder hat sie diesmal mit ihrer Klage über die Diskriminierung ihrer Bundestagsabgeordneten recht? Das Bundesverfassungsgericht entscheidet am Mittwoch, ob der AfD der Vorsitz in Bundestagsausschüssen zusteht oder nicht.
Keiner ihrer Abgeordneten wurde bisher in dieses Amt gewählt. Und der einzige, der zeitweise den Posten des Ausschussvorsitzenden innehatte, wurde wieder abgewählt. Was auch immer der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entscheidet, es wird Neuland betreten.
Der Kern der parlamentarischen Arbeit findet in den Ausschüssen statt, von denen es 27 gibt. Wie sie besetzt werden, regelt die Geschäftsordnung. Ihre Zusammensetzung muss den Bundestag widerspiegeln: Die Stärke der Parteien im Bundestag spiegelt die Stärke der Ausschüsse wider. Doch was ist mit den Vorsitzenden, die die Sitzungen leiten, Experten einladen und in der Öffentlichkeit sichtbarer sind als die „einfachen“ Mitglieder?
In Paragraph 12 der Geschäftsordnung heißt es: „Die Vorsitzenden der Ausschüsse werden nach dem Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen berufen.“ Demnach hätte die AfD drei Vorsitzendenposten. Dort steht aber auch Paragraph 58: „Die Ausschüsse ernennen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter.“ Damit ist klar, dass die Ausschussmitglieder den Kandidaten nicht akzeptieren müssen.
Demokratische Praxis
In den Anfangsjahren der Bundesrepublik wurden die Ausschussvorsitzenden gewählt, ab 1960 wurden sie per Akklamation „bestimmt“. Nach dem Einzug der AfD ins Parlament im Jahr 2017 wurde diese Praxis geändert und es fanden erneut Wahlen statt, allerdings in geheimer Abstimmung. Die AfD-Mitglieder erreichen regelmäßig keine Mehrheit. Die Partei sieht darin eine Verletzung ihrer Rechte als Abgeordnete und als Oppositionsmitglied und hat zudem ein Recht auf eine faire Auslegung der Geschäftsordnung. Deshalb klagt sie den Bundestag vor dem Bundesverfassungsgericht.
Er entgegnet, dass die Ausschüsse zwar spiegelbildlich zum Parlament besetzt werden müssten, dies bei den Vorsitzendenposten jedoch nicht der Fall sei. Dies liege daran, dass der Vorsitzende organisatorische Arbeit übernehmen müsse, nicht Oppositionsarbeit. Darüber hinaus habe ein Ausschuss das Recht, seine Praxis bei der „Ernennung“ seines Vorsitzenden zu ändern.
Allerdings verkündet das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch noch ein zweites Urteil, nämlich jenes über die Abberufung des vorläufigen Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner. Nach zwei Jahren im Amt hatte ihn der Rechtsausschuss des Bundestags am 13. November 2019 abgewählt. Alle Abgeordneten außer der AfD sprachen sich dafür aus. Vorausgegangen war, dass Brandner in den sozialen Medien einen Tweet zum Anschlag auf die Synagoge in Halle teilte. Darin wurde gefragt, warum Politiker mit Kerzen in Synagogen und Moscheen „herumlungern“, wenn doch nach dem gescheiterten Anschlag auf die dortige Synagoge – die mit einer Axt angegriffene massive Holztür wurde hochgehalten – der Angreifer zwei Deutsche getötet habe.
Brandner entschuldigte sich später im Bundestag. Einen Rücktritt lehnte er jedoch ab. Ihm wurde zudem vorgeworfen, das Bundesverdienstkreuz für Udo Lindenberg als „Judasbelohnung“ bezeichnet zu haben, also als Belohnung für einen Verräter. Stephan Brandner hält seine Abwahl für verfassungswidrig, da sie in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht vorgesehen sei. Er selbst sieht sich jedoch im Recht. Das Vertrauen in Brandner als Person sei zerstört.
Über allen Argumenten steht aber eine grundsätzliche Frage: Wie weit reicht eigentlich die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts, dem Bundestag Weisungen zur Anwendung seiner Geschäftsordnung zu erteilen? Wie gesagt: Neuland.