Drei Tage vor der Landtagswahl will die Brandenburger AfD vom Erfolg des Thüringer Landeschefs Björn Höcke lernen. In Cottbus schwärmt er vom Leben seiner Frau in der DDR – und fordert „Handschellen“ für den Gesundheitsminister.
Am Donnerstagabend steht Björn Höcke auf einer Bühne vor dem spätgotischen Backstein der Cottbuser Oberkirche St. Nikolai und schwärmt vom Leben in der DDR. „Wir waren mal ein starkes Volk mit gemeinschaftsorientierten Werten, das zusammengehalten hat“, sagt der Thüringer AfD-Landeschef und bezieht sich dabei auf Schilderungen seiner Frau, die in Cottbus aufgewachsen ist. Die DDR sei natürlich eine Diktatur gewesen, sagt er dann und zählt im folgenden Satz mit den Fingern mit. „Aber es gab soziale Sicherheit, es gab Vertrauen, es gab Nachbarschaft, Solidarität, innere Sicherheit, gute Bildung“, sagt er. „Es gab ein Land, das von einem Volk bewohnt wurde, nämlich dem deutschen Volk.“
„Richtig“, ruft eine Frau in der ersten Reihe. Höcke setzt seine Rede fort. „Die DDR war ein deutsches Land. Die DDR hatte nicht nur schlechte Eigenschaften.“ Dann spricht er vom Blockparteiensystem, von der Zensur, vom „Einsatz eines Geheimdienstes gegen die eigenen Bürger“ – diese „schlechten Eigenschaften“ der DDR feierten heute „fröhliche Wiederauferstehung“. Deutschland sei nun ein „Geistesstaat mit totalitären Zügen und das wollen wir nicht.“ Applaus, Jubel.
Drei Tage vor der Landtagswahl war Höcke nach Brandenburg gekommen, um seine Parteikollegen zu unterstützen. Der Landesverband der Rechtsextremen war bei der Wahl am 1. September in Thüringen stärkste Kraft geworden. Mit über einem Drittel der Sitze kann die rechtsextreme Partei dort künftig auch ohne Regierungsbeteiligung mitreden und Verfassungsänderungen, die Auflösung des Landtags sowie die Wahlen von Richtern und Staatsanwälten blockieren, um Zugeständnisse der anderen Parteien zu erzwingen. In Brandenburg will man nun von Höckes Erfolg lernen.
Einige Teilnehmer tragen Kleidung mit rechtsextremen Symbolen
Hunderte Anhänger der Partei waren an diesem Abend nach Cottbus gekommen, darunter Dutzende Schüler. Vor allem unter jungen Leuten, vor allem in Ostdeutschland, ist die AfD inzwischen beliebt. Einige Teilnehmer der Wahlkampfveranstaltung tragen Kleidung mit rechtsextremen Symbolen. Unter ihnen ist ein Jugendlicher, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Blitzkrieg“ und einer sogenannten schwarzen Sonne trägt, einem Symbol der Rechtsextremen, das auf die Nationalsozialisten zurückgeht.
„Division Spreewald“ steht auf einem weiteren Shirt, dazu die Reichsflagge und der Slogan „Treue zum Vaterland und treu zu Schwarz-Weiß-Rot“. Auf dem Pullover eines anderen Mannes steht „444“ – der Zahlencode steht in der Szene für „Deutschland den Deutschen“. Der Slogan wird an diesem Abend noch mehrmals eine Rolle spielen.
„Ich sage ja zur Straße“, sagt Höcke zu seinen Fans. „Ich bin selbst Straßenaktivist.“ Dann beschwört er ein „Staatsverbrechen“ während der Corona-Krise – die Höcke nicht Pandemie, sondern „Plandemie“ nennt – und fordert, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) solle nach einem Gerichtsprozess „in Handschellen abgeführt“ werden. Den Zuschauern auf dem Cottbuser Oberkirchplatz gefällt das, sie jubeln noch lauter als zuvor.
Dann zitiert Höcke einen SPD-Politiker
Auch die Migrationspolitik thematisierte der AfD-Politiker am Donnerstagabend. Höcke sprach zwar über die hohe Zahl abgelehnter Asylbewerber, die ausreisepflichtig seien – nannte aber eine weitaus höhere Zahl, die weit von der Realität entfernt sei. Die „700.000 Geduldeten, die aber sofort ausreisepflichtig sind“, müssten Deutschland verlassen, sagte er in Cottbus. Tatsächlich waren Ende Juni dieses Jahres in Deutschland rund 227.000 Menschen ausreisepflichtig – davon haben rund 183.000 eine Duldung und rund 44.000 sind „sofort ausreisepflichtig“.
Auch Russlands Krieg in der Ukraine spielt an diesem Abend eine wichtige Rolle. Höcke zitiert den SPD-Ostpolitiker Egon Bahr, der 2013 einer Schulklasse sagte, es gehe in der internationalen Politik nie um Demokratie oder Menschenrechte, sondern um die Interessen von Staaten. „Denkt daran, egal, was sie euch im Geschichtsunterricht erzählen“, habe Bahr damals gesagt. Einen weiteren Satz schreibt Höcke Bahr zu: „Glaubt nichts, was in den Geschichtsbüchern steht.“ Und er spielt auf der Reichsbürgerklatsche, wenn er mit Bezug auf die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland sagt, „wir wollen endlich frei und souverän sein.“
„Deutschland soll das Land der Deutschen bleiben“, sagt der AfD-Spitzenkandidat
Dann kommt Hans-Christoph Berndt auf die Bühne. Während der Spitzenkandidat der AfD spricht, wartet eine Gruppe junger Männer auf die Gelegenheit, ein Selfie mit Höcke zu machen. Irgendwann singen einige der Schüler vor der Bühne „Döp dödö döp“ zur Melodie des Liedes „L’Amour toujours“ von Gigi D’Agostino, das in diesem Jahr ein Revival erlebte – mit dem umgeschriebenen Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, einem Neonazi-Slogan.
Den Gesang auf der Bühne hörte Berndt nicht, seine Rede erinnerte dennoch an den Slogan. „Deutschland ist das Land der Deutschen und Deutschland soll das Land der Deutschen bleiben“, sagte er. Den gleichen Satz hatte er bereits im vergangenen Jahr bei einer Demonstration in Cottbus gesagt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellte in seinem Jahresbericht fest, Berndt habe „sein ethnisch homogenes Volksverständnis in einer Paraphrase des rechtsextremen nationalistischen Slogans ‚Deutschland den Deutschen‘ beschrieben“. Der Slogan hat seinen Ursprung in nationalistischen und antisemitischen Organisationen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik.
„Wir halten an der Nation fest, weil wir uns bewusst sind, dass wir Erben einer langen Reihe von Generationen sind“, sagt Berndt. Immer wieder sei Deutschland zerstört worden und Schauplatz von Kriegen in Europa gewesen. „Dreißigjähriger Krieg, Siebenjähriger Krieg, Napoleonische Kriege, Zweiter Weltkrieg“, zählt er auf. „Immer wieder in Schutt und Asche gelegt. Und immer wieder haben unsere Vorfahren dieses Land aufgebaut und es ist unsere verdammte Pflicht und Verpflichtung, dieses Erbe zu respektieren und zu ehren“, sagt Berndt. Dass Deutschland für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich war, indem es den Raub- und Vernichtungskrieg in Osteuropa begann, erwähnt er nicht.
Zum Schluss seiner Rede behauptet Berndt, der Landesjugendring Brandenburg sei ein „linksextremistischer Verein“. Der Verein, dem unter anderem die Sportjugend Brandenburg, die Landesjugendfeuerwehr, die DGB-Jugend und ein Pfadfinderverband angehören, hatte im Juli eine Prüfung eines möglichen AfD-Verbots gefordert. Die Brandenburger AfD will dem Landesjugendring nun die Gemeinnützigkeit entziehen und öffentliche Mittel streichen.
Politischer Redakteur Frederik Schindler Berichte für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justizthemen.
