Kleine Stadt, großes Auto: Aus dem verschlafenen Molsheim kommen einige der faszinierendsten Fahrzeuge unserer Zeit. Das aktuelle Highlight aus der Bugatti-Schmiede ist der offene Mistral. Sanft, kraftvoll und extrem teuer. ntv.de hat es gefahren.
Wie nähert man sich einem Auto, das eigentlich so absurd ist, dass Worte es kaum ausdrücken können? Autos sind eigentlich Fortbewegungsmittel, aber der Bugatti Mistral ist eher eine Kunst, sagen zumindest einige Experten.
Kunst impliziert immer eine gewisse statische Qualität, und das passiert bei vielen Autos der Fünf-Millionen-Euro-Klasse: Sie werden häufiger in klimatisierten Garagen gelagert als gefahren. Zu Beginn der Revitalisierung von Bugatti soll Ferdinand Piëch gesagt haben, man solle auch mit dem Veyron W16 (dem ersten modernen Bugatti-Modell unter Volkswagen-Führung) in die Oper fahren können. Klingt eher nach Alltag als nach Kunst, oder?
Besonders lang ist dieser Bugatti mit knapp über 4,50 Metern nicht.
(Foto: Bugatti)
Das galt natürlich auch für den Nachfolger Chiron, und der nun ausgelieferte Mistral ist im Grunde die evolutionäre Weiterentwicklung der Oben-ohne-Version – allerdings mit einigen technischen Änderungen und noch mehr Emotionen.
Technische Änderungen, da die Ingenieure das Carbon-Monocoque anfassen mussten, um die Kriterien für die Typgenehmigung offen zu erfüllen. Emotionen, weil der Luftstrom des Achtliter-Sechzehnzylindermotors direkt neben den Köpfen der Passagiere stattfindet. Und ein Roadster musste einfach aus Traditionsgründen entstehen – schließlich waren fast die Hälfte aller historischen Bugattis offene Modelle.
Auch aus der Drohnenperspektive ist der Bugatti Mistral eine Augenweide.
(Foto: Bugatti)
Lust auf eine kleine Runde? Der Ablauf hier in Molsheim ist immer derselbe: Wenn Journalisten das Hochhaus besuchen, stellen sie zunächst ein Stück Geschichte nach, werfen also einen oder zwei Blicke auf klassische Bugattis, sofern diese in den heiligen Hallen geparkt sind. Und auch eine kurze Werksbesichtigung ist inklusive. Hier ist es extrem ruhig, weil den Maschinen kaum etwas überlassen wird; Stattdessen packen Mechaniker und Techniker mit an.
Mistral wird von Hand hergestellt
Die Lieferung der Komponenten erfolgt in beschrifteten Kartons, so wie auch eine neue Sitzgarnitur verpackt werden kann. Es ist voller Hebebühnen und Werkzeug, was etwas ganz Besonderes ist und wenig mit gewöhnlichem Autobau zu tun hat. Schön ist, dass man sich einige Komponenten während der Produktion genauer anschauen kann, denn solange sie noch nicht verbaut sind, sind sie dadurch besser zu erkennen.
Die Mode mit beleuchteten Markenschriftzügen blieb auch den Hypercars nicht verborgen.
(Foto: Bugatti)
Allein die Dimensionen der Keramikbremsscheiben sind faszinierend – aber auch verrückt, welche Kräfte es hier zu bändigen gilt. Puls und Anspannung steigen langsam, natürlich möchte ich wissen, wie sich der Mistral fährt. Doch der ehemalige DTM-Pilot Bruno Spengler übernimmt die erste Runde. Als Botschafter von Bugatti ist der erfolgreiche Ex-Fahrer im „Deutschen Tourenwagen Masters“ nicht nur Vermittler der Markengeschichte, sondern auch Demofahrer und Entertainer. Scherzhaft könnte man auch sagen, dass er den W16-Turbo aufwärmt, damit Testfahrer richtig loslegen können. Dabei handelt es sich in der Regel um Kunden oder solche, die es noch werden möchten.
Doch auch mit warmem Motor muss man sich dem Mistral nähern, denn der 1.600 PS starke Supersportwagen verlangt Respekt. Man schüttet sich nicht einfach ein gutes Glas Wein in den Hals, man riecht einfach daran, schaut hin und schwenkt es. Der W16 rumpelt zwar, aber niemals obszön oder derb. Es ist kein Hypersportwagen wie ein McLaren Senna, sondern eher eine Art Hyper-Gran Turismo mit feiner Note – allerdings gibt es kein vergleichbares Gegenstück, Bugatti baut bereits ein ziemlich einzigartiges Produkt. Die Akustik wirkt eher geschliffen als ungehobelt, auch wenn es durch die sogenannten Ansaughauben laut wird.
Die Designer haben den riesigen W16-Motor optisch in Szene gesetzt. Es verschmilzt buchstäblich mit dem Körper.
(Foto: Bugatti)
Nach einem Fahrerwechsel rolle ich sanft an und mache mich mit dem Lenkverhalten vertraut. Die Straßen im Elsass sind ohnehin noch leicht feucht, sodass die Traktion selbst bei Allradfahrzeugen Mangelware ist. In der Mittelkonsole befinden sich eingefräste Drehregler mit einem kleinen integrierten Display anstelle eines Bildschirms. So kann ich sehen, wie viel Leistung ich bekomme, kann sie aber auch anhand der Stellung des Gaspedals spüren.
420 km/h Höchstgeschwindigkeit
Man muss es sich so vorstellen, als ob dieser Bugatti einfach eine Stufe höher agiert als alle anderen Autos. Wo ein nach heutigen Maßstäben mittelstarker Sportler, gehen wir von 400 PS aus, auf 200 km/h beschleunigt, sprintet der Mistral möglicherweise bereits auf die 350 km/h-Marke zu. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 420 Sachen.
Feines Leder und viel Carbon sind beim Bugatti selbstverständlich.
(Foto: Bugatti)
Seien Sie also vorsichtig beim Einfädeln auf die Autobahn – schon eine entspannte Viertelgasgabe kann zu einem akuten Führerscheinrisiko führen. Der Mistral beschleunigt mühelos aus dem Handgelenk auf 300 km/h, wie man es sich kaum vorstellen kann. Bis dahin dürften nur noch zwölf Sekunden vergehen.
Und wie fühlt sich das an? Entspannt mit 1600 Newtonmetern und irrem Druck im Heck, aber nicht sportlich im eigentlichen Sinne, weil dieses Ausnahmetalent seine Passagiere irgendwie von der Straße entkoppelt – oder weil man sich auf die Längsdynamik konzentriert, merkt man gar nicht, wie direkt der Bugatti tatsächlich einlenkt. Ist die Front frei und das rechte Pedal sinkt in Richtung Bodenblech, wird der Hightech-Motor wütend und der Allradler fliegt unkontrolliert nach vorne. Dies funktioniert meist nicht lange, allein aus verkehrstechnischen Gründen.
Ist es überhaupt möglich, mit diesem Ausnahmesportler im Alltag zu reisen? Vielleicht in Monaco, wo Autos für mehrere Millionen Euro üblicher sind. In durchschnittlichen deutschen Städten dürfte das mit vier Turboladern ausgestattete Technikpaket so viel Aufmerksamkeit erregen, dass man es lieber in der Garage liegen lässt. Das ist schade, denn der Mistral verdient einen Blick.
Und dann wäre man thematisch wieder bei der Kunst. Alles an diesem Auto ist gekonnt in Szene gesetzt, vom kraftvollen Diffusor am Heck bis zum traditionell geschwungenen, ausgeschnittenen Blech an den Seiten. Übrigens auch der Motor, den der Sportler immer zur Schau stellt. Allerdings nicht in seinen mechanischen Details, sondern mit den ästhetisch verhüllten Zylinderköpfen, die – wenn man so will – eins mit dem Bugatti Mistral werden, gestalterisch einfach mit ihm verschmelzen.
Oh ja, wenn du im Lotto gewonnen hast, vergiss es. Keine Chance für einen neuen W16-Wagen mit Stoffverdeck und eigener Konfiguration: Alle 99 Exemplare sind bereits ausverkauft. Das ein oder andere Exemplar wird sicherlich früher oder später als Gebrauchtwagen im Internet auftauchen.
Früher oder später wird Bugatti jedoch ein weiteres neues Derivat oder Sondermodell auf den Markt bringen. Dann aber als Derivat des neuen Tourbillon-Modells – das ebenfalls bereits ausverkauft ist. Die neue Generation verfügt nicht mehr über einen reinen Verbrennungsmotorantrieb und keine Zylinder in W-Anordnung. Bugattis Nachfolgeantrieb besteht aus einem neu entwickelten V16-Saugmotor plus Elektromotoren. Und dann heißt es: neues Spiel, neues Glück.
